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Der Bananenquark in der Bückzone
#10
Da Ihr ja alle nur darauf wartet - und heute sowieso schlechtes Wetter war - hier also das letzte Drittel des Artikels:


Reckzone, Sichtzone, Greifzone, Bückzone
Es gibt nur wenige Faktoren, die sich stärker auf den Absatz eines Produkts auswirken als die Höhe, auf der es im Regal steht. Produkte in der Sichtzone (140 bis 180 Zentimeter) werden am meisten beachtet. Nach der Sichtzone folgt die Greifzone (60 bis 140 Zentimeter). Am wenigsten wahrgenommen wird ein Produkt in der Bückzone (bis 60 Zentimeter) sowie in der Reckzone (über 180 Zentimeter). Daraus kann ein Händler zum Beispiel folgende Taktik ableiten: Die Artikel, die der Kunde auf jeden Fall und immer wieder braucht, sogenannte Schnelldreher wie Milch oder Zucker, kommen in die Bück- oder Reckzone. Wie der Zahnpasta schadet ihnen schlechte Sichtbarkeit nicht: Wenn die Tube leer ist, braucht man eine neue, ganz egal, wo sie sich versteckt hält. Ganz unten im Regal stehen häufig auch die preiswerten Produkte. Als Gegenleistung für den guten Preis muß sich der Kunde eben bücken. In die Sichtzone kommen teurere Produkte mit hoher Marge, in die Greifzone Impulsartikel, Neuheiten und das Normalsortiment.
Das klingt einfacher, als es ist. 2.300 Artikel sinnvoll auf 75 Laufmeter Regale zu verteilen, wie es zum Beispiel in der Produktkategorie „HC31: haltbare Convenience“ bei der Coop vorgeschrieben ist, ist eine Wissenschaft für sich. In einer Doktorarbeit über „Neue Herangehensweisen, um die Regalzuordnungen im Detailhandel zu optimieren“ wird das Problem auf 217 Seiten in all seinen Facetten dargestellt. Schon allein das Verteilen von Tausenden von Produkten auf eine endliche Anzahl von Regalen, ohne dabei irgendwelche Marketingdaten zu berücksichtigen, sei, mathematisch betrachtet, ein gefürchtetes „Multi-Knapsack-Problem“. Wenn dabei noch der Absatz, die Sichtbarkeit im Regal und der Einfluß der Nachbarprodukte einfließen sollen, kann die Einführung eines Kiwi-Joghurts zum kombinatorischen Alptraum werden.
Anders als dem Hersteller des Kiwi-Joghurts geht es dem Einzelhändler ja nicht darum, bloß die beste Position für diese eine Joghurtsorte zu finden. Vielmehr hat er den Umsatz der ganzen Kategorie im Auge. Schließlich könnte das Kiwi-Joghurt den Bananenquark in die umsatzschwache linke Bückzone verdrängen, wo er in die schlechte Gesellschaft des Kräutertofus geriete – mit unabsehbaren Folgen für die ganze Abteilung.
Da ist es kein Wunder, daß die Erstellung des Planogramms – so heißt der Plan aller Regale und Artikelpositionen – von einer Reihe von Faustregeln geleitet wird. Zum Beispiel ist es häufig nicht sinnvoll, einem Produkt viel Regalbreite zu opfern. Solange die minimale Breite von dreißig Zentimetern pro Artikel nicht unterschritten wird, wirkt es sich kaum auf die Verkäufe aus, ob drei Suppenbeutel nebeneinanderstehen oder sechs. Zudem sollten zusammengehörende Artikel als geschlossene Einheit in einem vertikalen Block präsentiert werden. Der Kunde kann dann beim Vergleichen der Produkte vor dem Regal stehenbleiben und muß nicht auf und ab wandern.
Zu den schwierigsten Fragen, die ein Regallayouter beantworten muß, gehört: Soll die Aprikosenkonfitüre in einem Herstellerblock, in einem Verwendungsblock oder in einem Kreuzblock stehen? Der Herstellerblock gruppiert alle Konfitüren der gleichen Marke. Der Verwendungsblock gruppiert alle Aprikosenkonfitüren. Der Kreuzblock ist eine Mischung aus beiden: ein Markenblock, auf dessen beiden Seiten die vergleichbaren Produkte anderer Marken stehen. Weil Käufer Regale lesen wie eine Zeitung – von links nach rechts –, ermöglicht ihnen der Verwendungsblock, Preise am einfachsten zu vergleichen. Daran hat der Händler allerdings nicht immer ein Interesse. „Leider ist mehr Kundenfreundlichkeit nicht immer kompatibel mit mehr Umsatz“, schreibt Scott Young von der Marktforschungsfirma Perception Research Services.
Sehen Sie das Toilettenpapier im nächsten Regal? Es ist nach Packungsgrößen geordnet. Sie nehmen den 12er-Pack, weil Sie annehmen, er sei billiger als drei 4er-Packs. Stünden die zwei Packs nicht so weit voneinander entfernt, hätten Sie gemerkt, daß das nicht stimmt.

Manche Großpackung ist teurer
Großpackungen im Verhältnis teurer zu verkaufen als kleine, ist eine von vielen Strategien, die angelernte Assoziationen der Kunden ausnutzen. Eine andere ist die Massenpräsentation: Artikel, die auf Paletten angeboten werden, verkaufen sich besser, auch wenn sie nicht billiger sind. Die Transportpalette allein sendet die Botschaft „Überfluß“. Gleichzeitig deuten Kunden die Massenpräsentation aber auch als Zeichen für schlechte Qualität.
Im Regal vor Ihnen sehen Sie jetzt Batterien mit einem Hinweisschild, auf dem der Preis steht. Ihre Augen fühlen sich magisch davon angezogen. Sie legen zwei Packen in den Wagen. Batterien braucht man immer. Ohne Sie jetzt beleidigen zu wollen: Wenn es um die Preiswahrnehmung geht, sind Sie ziemlich einfach zu übertölpeln. Auf dem Hinweisschild stand nichts außer dem Normalpreis. Wie zwei Drittel aller Kunden halten aber auch Sie jedes ordinäre Hinweisschild ganz selbstverständlich für ein Signal, daß der Preis gesenkt worden ist.
Schauen Sie jetzt nicht in Ihren Wagen! Wissen Sie, was die Batterien gekostet haben? Oder die Zahnpasta? Wenn nicht, sind Sie in guter Gesellschaft. In vier amerikanischen Supermärkten wurden Kunden nach dem Preis einer Zahnpasta gefragt, die sie unmittelbar zuvor in den Wagen gelegt hatten. Nur knapp die Hälfte unter ihnen war dazu in der Lage, die anderen gaben entweder einen stark abweichenden Preis an oder – in zwanzig Prozent der Fälle – gar keinen. Diese Leute hatten noch nicht einmal eine ungefähre Ahnung davon, was die Tube Zahnpasta kostete.
Das muß die Händler eigentlich überraschen, denn wenn Kunden gefragt werden, warum sie einen bestimmten Laden besuchen, steht der Preis meistens ganz oben. Aber wie jede Dreiecksbeziehung ist auch jene zwischen Mensch, Produkt und Preis kompliziert. Zu ihren paradoxen Eigenheiten gehört, daß der absolute Preis eine untergeordnete Rolle spielt. Nicht billig muß es sein, sondern billiger als sonst. Nicht das Produkt ist die Belohnung, sondern das unbeschreibliche Gefühl, einen Salat zum halben Preis erlegt zu haben.
Die meisten Leute reagieren selbst dann euphorisch auf Preisabschläge, wenn der ursprüngliche Preis offensichtlich viel zu hoch angegeben wird. In einem Experiment kostete ein Fernseher im Ausverkauf 319 Dollar. Der ursprüngliche Preis wurde mit 359 Dollar, 419 Dollar oder völlig überzogenen 799 Dollar angegeben. Zwar glaubten die Kunden im letzteren Fall nicht, daß die in der Werbung angegebene Reduktion der Wahrheit entsprach. Trotzdem waren sie überzeugt, ein besseres Geschäft gemacht zu haben als die anderen Versuchsteilnehmer.
Jetzt noch der Kugelschreiber. Diesmal sind Sie wild entschlossen, sich nicht reinlegen zu lassen. Im Regal gibt es drei Sorten: einen billigen für 1,90 Euro, einen für 3,90 Euro und einen edlen für 19 Euro. Welchen wählen Sie? Wahrscheinlich den für 3,90 Euro. Auch hier zählt nicht der absolute Preis. Hätte der teurere Kugelschreiber nicht zur Wahl gestanden, hätten Sie nämlich mit größter Wahrscheinlichkeit den billigsten gewählt. Einfache Experimente zeigen, daß sich allein durch die Aufnahme eines teuren Artikels in das Sortiment die Verkaufsanteile der billigeren Produkte verändern: Ein teurer Mikrowellenherd hob den Marktanteil eines mittelpreisigen zum Beispiel um 17 auf 60 Prozent. Als die teure Variante noch nicht im Angebot war, hatten den mittelpreisigen nur 43 Prozent kaufen wollen.

Auch Könige müssen Schlange stehen
Langsam nähern Sie sich der Kasse und damit der heikelsten Zone im Laden. Selbst dem gutmütigsten Kunden wird auffallen, daß sich hier zwei Unannehmlichkeiten gegenseitig potenzieren: Er muß zahlen und auch noch darauf warten. Jeder Händler, der behauptet, bei ihm sein der Kunde König, muß sich die Frage gefallen lassen, seit wann Könige Schlange stehen. Das Warten an der Kasse ist das Ärgernis Nummer eins bei Kundenumfragen. Die Zeit zeigt sich vor der Kasse denn auch von ihrer zähen Seite: In der Wahrnehmung der Kunden kann sie dreißig Prozent langsamer verstreichen als während des Einkaufs.
Ohne daß Sie etwas davon merken, wird der Boden unter Ihren Füßen mit jedem Schritt wertvoller. Der Platz unmittelbar vor der Kasse gehört zu den Flächen mit dem höchsten Umsatz. Alle müssen hier durch, und zudem noch in gedrosseltem Tempo. Diese Gelegenheit wird sich kein Händler entgehen lassen. Sie mögen denken, Ihr Einkauf sei abgeschlossen, aber da täuschen Sie sich.
Links und rechts lauern Impulswaren. Oben für Erwachsene, in der Bückzone – hier ausnahmsweise kein Nachteil – die sogenannte Quengelware für Kinder: Bonbons, Kaugummi, Schokolade. Sie nehmen eine Packung Mints.
Sie wollen Ihren Einkauf schon aufs Laufband legen, da sehen Sie sie: die Zahnstocherspender! In der Sichtzone, Massenpräsentation, mit Hinweisschild: drei für zwei! Wer könnte da widerstehen? Sie packen zu, legen den Einkauf aufs Band und blicken auf die Kassenanzeige: 1,90, 3,90, 19,90 ...

Ganze Preise wirken edler
Die Frage, wie sich bei Einzelhandelspreisen die 9 nach dem Komma auf den Umsatz auswirkt, hat einige Wirtschaftswissenschaftler ein Leben lang beschäftigt. Trotzdem ist bis heute nicht geklärt, ob sich aus Preisen, die auf 9 enden, tatsächlich ein finanzieller Vorteil für den Handel ergibt. Trotzdem haben sich solche Preise in vielen Ländern durchgesetzt. In den Vereinigten Staaten enden 80 bis 90 Prozent aller Preise auf 99.
Die Idee dahinter ist leicht zu durchschauen: Dem Kunden soll das Produkt billiger erscheinen, als es in Wahrheit ist. Einige Experimente zeigen allerdings, daß sich mit einer 9 am Schluß in Einzelfällen bizarre Effekte erzielen lassen. So stieg bei einem Versuch der Verkauf eines Kleides, nachdem sein Preis von 34 auf 39 Dollar erhöht worden war. Wie bei der Massenpräsentation ist das Problem mit der 9 am Schluß aber generell, daß sie gleichzeitig schlechtere Qualität suggeriert. Einzehhändler mit einem Edelimage wie zum Beispiel Macy’s setzen eher auf ganze Preise.
Sie bezahlen 106,70 Euro und packen ein. Die Chips haben Sie wegen der Verbundplazierung mit dem Bier gekauft, den Wein wegen Vivaldi, die Zahnbürste, weil sie in der Sichtzone stand, den mittleren Kugelschreiber, weil ihm ein teurerer Schützenhilfe leistete, die Batterien, weil Sie unbewußt – und zu Unrecht – annahmen, dabei zu sparen, die Mints, weil sie gerade am Weg lagen, und die Zahnstocherspender ein bißchen wegen allem zusammen.
Sind Sie nun enttäuscht oder erfreut? Haben Sie das Gefühl, manipuliert worden zu sein? Ein willenloser Schoppingzombie, von einer geheimen Macht im Gegenuhrzeigersinn durch den Laden getrieben? Oder freuen Sie sich darüber, daß Sie die Chips nicht vergessen haben und zum Preis von zwei Zahnstocherspendern drei erbeuteten?

Manipulation wird zum Rohrkrepierer
Tatsächlich kann man die Verbundplazierung von Bier und Chips auch als „kognitive Entlastung“ des Kunden deuten und den Preisnachlaß beim Salat als unverfängliches Angebot, Geld zu sparen. Viele Erkenntnisse über das Schoppingverhalten haben unbestritten positive Folgen für Kunden und Händler. Daß das nicht für alle verkaufsfördernden Maßnahmen gilt, wissen aber auch die Händler.
Am offensichtlichsten kollidieren Kundenfreundlichkeit und Umsatzsteigerung bei den Kindersüßigkeiten an der Kasse. Eine Warenplazierung, gegen die sich Konsumentenorganisationen immer wieder erfolglos wehren. Weil die Händler auf keinen Fall in den Verdacht geraten wollen, die Kunden zu manipulieren, üben sie jedoch Zurückhaltung bei anderen Maßnahmen. Wenn Sie nämlich zur Überzeugung gelangen, Vivaldi persönlich habe Ihnen den Tignanello in den Wagen gelegt, obwohl Sie italienische Weine eigentlich gar nicht mögen, wird die Hintergrundmusik früher oder später zum Rohrkrepierer. Alles, was beim Kunden den Eindruck erweckt, den freien Willen einzuschränken, kann sich als Bumerang erweisen.
Die Einsichten der Wissenschaft in die Schoppingwelt sind tatsächlich beeindruckend, aber sie bleiben Stückwerk. Das größte Hindernis bei der Umsetzung der Schoppingforschung sind nämlich Sie. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und wenn Schoppingwissenschaft bedeutet, den Bananenquark nicht mehr zu finden, dann wird er sauer – auch wenn es für dessen Umzug in die Bückzone handfeste mathematische Gründe gibt.
Der Kunde steht im Mittelpunkt – und damit im Wege, heißt ein geflügeltes Wort der Ladendesigner.

Dem Schlechten mag der Tag gehören - dem Wahren und Guten gehört die Ewigkeit. (F. v. Schiller)
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Es bedanken sich: Violetta


Nachrichten in diesem Thema
Der Bananenquark in der Bückzone - von Eiche - 04.02.12007, 22:43
RE: Der Bananenquark in der Bückzone - von verdandi - 12.01.12020, 00:14
[Kein Betreff] - von Shopping - 05.02.12007, 14:06
[Kein Betreff] - von Nuculeuz - 05.02.12007, 16:29
[Kein Betreff] - von WeblicherGedanke - 07.02.12007, 16:46
[Kein Betreff] - von Eiche - 08.02.12007, 23:48
[Kein Betreff] - von WeblicherGedanke - 10.02.12007, 10:49
[Kein Betreff] - von Arnika - 10.02.12007, 18:14
[Kein Betreff] - von Nuculeuz - 10.02.12007, 19:40
[Kein Betreff] - von Saxorior - 10.02.12007, 20:14
[Kein Betreff] - von Eiche - 11.02.12007, 22:15
[Kein Betreff] - von WeblicherGedanke - 18.02.12007, 00:07
[Kein Betreff] - von Alexis - 06.03.12007, 16:09

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