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Wagner wieder bei den Salzburger Festspielen
#4
Nachdem die alte Parsifal-Inszenierung an der Wiener Staatsoper in die Jahre kam, stand heuer wieder eine Neuinszenierung an. Übernommen hat dies Alvis Hermanis. Ich hatte dieses Jahr das Vergnügen der Generalprobe beizuwohnen. Und ich muss schon mal vorab sagen, es war wirklich ein Vergnügen.

Der Regisseur Hermanis hat gleich 2 'Treffen' eingebracht ... Richard Wagner trifft auf Otto Wagner (die Handlung wurde ins Otto Wagner Spital auf den Steinhofgründen verlegt) & Moderne trifft auf Zukunft (zeitlich spielt sie Ende 19. Anfang 20. Jahrhundert). Gurnemanz wurde als Arzt angelegt, der sich um die alternden, und dem spirituellen und geistigem Verfall ausgestzten, Ritter (damalige Größen der Psychiatrie: Jung, Freud, ... etc.) kümmert, Kundry als dem Wahnsinn nahe, umherirrende Suchende, Klingsor als Pathologe a la Dr. Frankenstein und die Blumenmädchen wiedererwachende Schönheiten. Auf jeden Fall ziehen sich Gehirne durch die gesamte Inszenierung, auch der Gral ist als leuchtendes Gehirn dargestellt und Amfortas' gestohlener Speer geht mitten durch ein Gehirn (wie anno dazumal Excalibur im Stein). Spätestens jetzt wird klar, warum Amfortas den blutenden Verband am Kopf hat und dieser an beiden Seiten blutet. Hermanis lässt diesmal auch nicht nur Titurel sterben, sondern auch Amfortas und bricht in dieser Inszenierung aber noch mit einer anderen Tradition: Es ist Kundry, welche den Gral als Geheilte öffnet und die Szenerie danach glücklich durch den Hintergrund verläßt

Da aber Wagner gerade bei Parsifal genaueste Anweisungen gegeben hat, wie zu inszenieren sei, wirken manche Umsetzungen karikativ und ironisch ... Kundry wird im ersten Teil in einem Netzbett von Klingsor aus der Szenerie entführt; Klingsor versucht in der Pathologie Herzeleide mit einer Gehirnoperation wieder zu erwecken; Kundry auf Freuds Sofa wirkt wie eine aus Aida geflohene Prinzessin Leia (Star Wars) die unpassend versucht Parsifal zu verführen; Anfang dritter Teil wird die szenische Anweisung bzgl Blumen und Einsiedlerhaus gezeigt, aber man sieht nur das Innere des Otto Wagner Spitals; Parsifal in goldener Ritterrüstung aus der Bronzezeit mit Voll-Visier reinirrend wirkt zeitlich völlig deplaziert; die Gralsritter mit Ihren Flügelhelmen wirken wie aus Asterix & Obelix ... man könnte noch so einiges finden, was irgendwie gegensätzlich oder unpassend wirkt.

Trotzdem, oder gerade deswegen, ist diese Inszenierung meiner Meinung nach durchaus besser gelungen als die vorhergehende (hatte ich auch letztes Jahr vor Ostern noch gesehen, alles abgehalftert (bis auf Klingsors Bordell) und auch beim Karfreitagszauper kam kein Glanz auf oder war optisch irgend eine Verwandlung auszumachen). Ich bin nach knapp 15 Minuten regelrecht entschwebt und mitgezerrt worden ... nicht weil irgendwas langatmig oder einschläfernd war ... ganz im Gegenteil ... ich bin so wunderbar aus meinem derzeit extrem stressigen Alltag geholt worden, dass ich nach dieser Zeit so im Parsifal mitgeschwebt bin, dass der Alltag für über 2 Teile (ca. 4 Stunden) genau keine Rolle gespielt hat und ich alles draußen vor dem Operneingang hab liegen lassen können. Das hat mich sehr erholt um auch die nächsten Wochen Arbeitsstreß "durchzudrücken".

Aus diesem Grund kann ich Kritik in Richtung Dirigend Semyon Bychkov überhaupt nicht nachvollziehen, die manche von sich gegeben haben.

Da ich nicht so bewandert bin in den derzeitigen Darstellern und großen Sängern der Zeit waren mir, bis auf Jongming Park (Titurel; hatte ich schon bei einer Verdi-Oper davor erlebt), Gerald Finley (Amfortas; nur namentlich) und Chr*stopher Ventris (Parsifal; auch nur namentlich), alle Sänger nicht bekannt. Auch dass manche Kritiker René Pape, der für den erkrankten Hans-Peter König sehr kurzfristig als Gurnemanz eingesprungen ist, nicht den Respekt zollte, denn er eigentlich verdient (das Publikum wusste es sehr wohl zu würdigen) für diese schwere Rolle, ist nicht nachvollziehbar. Auch Nina Stemme (Kundry), welche als einzige in keiner Kritik, die mir bis dato untergekommen ist verrissen wurde, und Gerald Finley (Amfortas) spielten und sangen echt grandios. Einzig Jochen Schmeckenbecher (Klingsor) fand ich sängerisch zu brav angelegt, ist er doch der eigentlich Böse hier.

Einziger Kritikpunkt meinerseits, wie üblich in Wien: Die Lautstärke des Orchesters war phasenweise viel zu laut. Man konnte die Sänger an diesen Stellen überhaupt nicht verstehen. Ich empfinde Oper als gemeinsames Spiel von Orchester UND Sängern ... in Wien artet es leider immer wieder zu einem Wettstreit zwischen Sängern und Orchester aus ... Leider Traurig ... Auch wenn die Philharmoniker exzellent sind, kann man Ihnen durchaus mal Paroli bieten und sie auf den Boden der Tatsachen holen ... denn wie würde das aussehen, wenn man so stimmgewaltige Sänger hätte, die die Musik in den Hintergrund drängen könnten? Geht nicht ... muss/sollte also für Musik auch gelten ...

Ich liebe natürlich klassische Inszenierungen, aber ich kann auch Modernisierungen durchaus was abgewinnen, wenn es themenmäßig paßt und gut umgesetzt ist (die Inszenierung in der Chemiefabrik damals (war das Tannhäuser?) war für mich mehr als unpassend!). Geschmäcker sind verschieden ... wissen wir alle ... Aber diese hier zu verreißen empfinde ich mehr als übertrieben. Wenn mir etwas nicht gefallen hat oder gefällt, kann ich mich normal davon distanzieren ... Buh-Rufe sind gerade bei Kunst und vor allem bei Wagner, der zwar viele genaue Anweisungen hinterlassen hat, aber auch sehr viel Interpretationsspielraum und Ideenreichtum für stimmige Modernisierung bietet, mehr als unangebracht.

Hier noch ein paar Szenen um sich selbst ein Bild davon zu machen:

   
   
   
   
   

Und hier die Kritiken zum Nachlesen:

http://diepresse.com/home/kultur/klassik/5193283/Wiener-Staatsoper_Bei-diesem-Parsifal-gingen-die-Wogen-hoch

Eine sehr schöne, neutral-positive Kritik

http://orf.at/stories/2384754/2384755/

Vorabinfos mit interessanten Betrachtungsweisen

http://der-neue-merker.eu/wien-staatsoper-parsifal-5

Ausführliche und recht negative Kritik (beim Merker aber nicht unüblich ... da wird fast jede Inszenierung von Wagner zerrissen)

https://l.facebook.com/l.php?u=https%3A%2F%2Fwww.br-klassik.de%2Faktuell%2Fnews-kritik%2Fparsifal-wiener-staatsoper-wagner-premierenkritik-alvis-hermanis100.html&h=ATMsaD6XODRHmsyrGsffp557PKCseJLf6LC_kK-yMmSHCL3MrO3FDXJw4psYGG5ri9h8mGpSTgYBSrQgtiSm1uyodk5Nmx-5zV5AqXpWSltVqavSHuwti00F90heiVsF1WAAyw

Kritik komplett daneben. Allein schon der erste Absatz zeigt, dass die Kritikerin sich entweder die Inszenierung gar nicht angesehen hat, oder von der Materie keine Ahnung hat.

In diesem Sinne ... Schönes Wochenende

Winken
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"Sie wollen die Wahrheit? Sie können die Wahrheit doch gar nicht vertragen!" Jack Nicholson in Eine Frage der Ehre
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RE: Wagner wieder bei den Salzburger Festspielen - von Knight - 01.04.12017, 10:16
Wagner in Berlin, Deutsche Oper - von Paganlord - 12.05.12017, 12:17
RE: Wagner in Berlin, Deutsche Oper - von Inara - 12.05.12017, 21:22

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