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Orpheus
#5
Das Problem mit Mythen und Geschichten ist folgende: Je älter sie ist, desto mehr werden sie durch das „Stille-Post-Prinzip“ verändert.
Im Laufe der Geschichte griffen zahlreiche bekannte Schriftsteller/Universalgelehrte, wie Marsilio Ficino, Pico della Mirandola, Shakespeare, Giordano Bruno, Francis Bacon zu der Mythe des Orpheus und sponnen ihre eigenen Interpretationen.
Die Geschichte von Orpheus und Eurydike war auch ein Nährstoff für die Dichter und Romantiker wie Goethe, Novalis, Rainer Maria Rilke usw. Ja sogar bis ins heutige Zeitalter von Film und Fernsehen verfolgt uns die Thematik des Orpheus.
Letzte Woche habe ich im Radio das Lied „Ich wollte wie Orpheus singen“ von Reinhard Mey gehört.

Bei einem über 2500 Jahre alten Deckmantel aus Interpretationen ist es fast unmöglich, den wahren Kern der Orpheusmythe zu erkennen.

Der Musiker Walter Gutdeutsch hat einen interessanten Beitrag zu diesem Thema geschrieben.
Er beschreibt darin, dass es nicht „den“ Mythos von Orpheus und Eurydike gibt, sondern nur sehr viele Varianten mit einem gemeinsamen Kern:

„...Die Urversion des Mythos lautet wohl wie folgt: Orpheus, Sohn des Gottes Apollon und der Muse Kalliope, wird von Apollon im Leiterspiel und Gesang unterwiesen. Bald hat seine Musik eine solche Kraft, dass Steine in Bewegung kommen, Flüsse stillstehen, Bäume zu ihm hinwandern, wilde Tiere sich zahm um ihn lagern. Dann stirbt seine Frau Eurydike – es wird nicht erzählt warum (dies wird erst später dazugedichtet) – und gelangt in den Hades. Orpheus geht ihr nach und bezaubert mit seinem Gesang und dem Spiel auf seiner Leier den Herrscher der Unterwelt, der genauso heißt wie sein Reich, nämlich den G*tt Hades, und seine Frau, die Göttin Persephone. Er erhält die Erlaubnis, mit Eurydike auf die Erde zurückzusteigen. – Dies ist die archaische „Urgeschichte“, und es ist anzunehmen, dass sie mit einem Happy End abschloss: Der Tod wird durch die Kraft der Liebe und die Magie der Musik überwunden. ..."

Alles andere wurde seiner Meinung nach dazugedichtet.
Vergil sagte, Orpheus drehte sich aus einen Anfall von jähen Wahnsinn um. Ovid vermutete aus Sorge um Eurydike. Rilke wiederum schrieb, dass Eurydike schon zu sehr von dem „Gestorbensein” erfüllt wäre und daher keinen Bezug mehr zu den Lebenden hätte. Orpheus spürte das und drehte sich daher absichtlich zu ihr um.

Der weitere Verlauf der Geschichte beschreibt, wie sehr sich Orpheus nach der Rückkehr aus dem Hades verändert hat. Schließlich hat er die Mysterien des Lebens und nun auch des Todes gesehen. Er scharrte junge Männer um sich und lehrte sie die Geheimnisse von Leben, Liebe und Tod und führte sie in neue Weihen und Mysterien ein. Er schaffte Blutopfer ab und lehrte die Reinkarnation, erzog seine Anhänger zu einer vegetarischen Lebensweise.

Für den weiteren Verlauf verweist Gutdeutsch auf die Interpretation von Aischylos:

In seiner Tragödie „Bassarai“ (dies ist das thrakische Wort für Bacchantinnen), dass Orpheus eines Morgens im Gebirge die aufgehende Sonne – ein Aspekt des Gottes Apollon, der G*tt des Lichts, der musischen und heilenden Künste – begrüßte. Dort fanden ihn die orgiastisch aufgewühlten Begleiterinnen des Gottes Dionysos, die Mänaden oder Bacchantinnen: Sie stürzten sich auf ihn und rissen ihn in Stücke.

Eine andere Version erzählt weiter: Seinen abgetrennten Kopf und die Leier warfen die Mänaden in einen Fluss, und die Strömungen trugen ihn bis zur Insel Lesbos. Die Leier wurde dort im Tempel des Apollon aufbewahrt – bis Zeus diese im Sternbild Lyra verewigte. Und das Inselheiligtum des Dionysos, wo der Kopf bestattet wurde, entwickelte sich zu einer berühmten Orakelstätte. Orpheus selbst aber, so Ovid, habe im Hades Eurydike wiedergefunden, „nach der er sich fortan sorglos umsehen“ dürfe. Die rasenden thrakischen Frauen schließlich seien zur Strafe in Weiden verwandelt worden. Dieser Schluss bringt zwar nicht unbedingt ein Hollywood-Happy-End, aber immerhin eine „Auflösung“ der schicksalsmäßigen Verstrickungen der ganzen Geschichte.“


Wie schon gesagt, kann solch ein mythologischer Überbau die ursprüngliche Version bis zur heutigen Zeit dermaßen verunstalten, dass ich es nicht wage, eine 100%ig stichhaltige Interpretation aus dem Meer von Interpretationen herauszupicken.
Die eigene Disziplin, sich zu einer Tat zu zwingen und
einen Gedanken nicht zu denken, ist eine Notwendigkeit.
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Es bedanken sich: Paganlord , Sirona , Saxorior


Nachrichten in diesem Thema
Orpheus - von Hælvard - 30.08.12017, 20:15
RE: Orpheus - von Nino - 30.08.12017, 21:06
RE: Orpheus - von Hernes_Son - 30.08.12017, 23:03
RE: Orpheus - von Wilder Mann - 31.08.12017, 09:12
RE: Orpheus - von Waldläufer - 04.09.12017, 21:46
RE: Orpheus - von Hælvard - 11.09.12017, 14:13
RE: Orpheus - von Paganlord - 12.09.12017, 18:17
RE: Orpheus - von Hælvard - 11.09.12017, 19:29
RE: Orpheus - von verdandi - 26.09.12017, 11:18
RE: Orpheus - von Hælvard - 24.10.12017, 16:22
RE: Orpheus und Eurydike - von Hælvard - 06.04.12018, 00:55
RE: Orpheus & Eurydike - von Hælvard - 06.04.12018, 09:37
RE: Orpheus - von Kelda - 14.01.12019, 20:52
RE: Orpheus - von Eiche - 14.01.12019, 23:39
RE: Orpheus - von Hælvard - 15.01.12019, 09:45

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