Óengus
#3
Zitat:Hælvard und ich haben beide Beiträge zur Mythologie von Brú na Boínne geschrieben, so sehr hat uns das Feuer gepackt. Ich stelle meinen Beitrag hier dazu und freue mich über Ergänzungen oder gar Korrekturen. Eventuell wäre ein eigener Strang für die Mythologie sinnvoll?

Die Mythologie ist absolut sinnvoll!!!
Sie gibt uns Antworten, wo Geschichte und Archäologie aufhören!
Es ist das uralte Wissen, das wir einst selbst in die Geschichten hineinverschlüsselt haben, um eben dieses Wissen über die Zeit zu sichern und vor den Grauen zu schützen. Aber auch hier pfuschen sie herum, um die Essenz zu verdrehen, umzudichten oder zu vernichten.
Es liegt also an uns, dieses alte Wissen zu bewahren!

Hier nun die komplette Geschichte:

Aisling Óengus - Der Traum des Aengus Óg

Eines nachts sah Óengus im Schlaf eine Gestalt an sein Bett treten: Es war eine Jungfrau, die schönste in Ériu. Er wollte sie schon an der Hand fassen und zu sich in das Bett ziehen, da sah er, wie sie plötzlich von ihm wich. Nicht wußte er, wohin sie verschwunden war. So blieb er bis zum Morgen im Bett, und er fühlte sich unwohl. Es machte ihn krank, daß er die Gestalt erblickt hatte, ohne mit ihr sprechen zu können. Er konnte keine Speise zu sich nehmen. In der folgenden Nacht sah Óengus eine Art Glockenspiel, ein Timpán, in ihrer Hand, ein wohltönenderes gab es nicht. Sie spielte ihm eine Melodie vor, und darüber schlief er ein. So blieb er bis zum Morgen, und am nächsten Tag konnte er nichts essen.

Ein ganzes Jahr verstrich, und die Besuche des Mädchens wiederholten sich, so daß er sich in sie verliebte. Er erzählte niemandem davon. Óengus wurde krank von der verzehrenden Sehnsucht, und niemand wußte, woran er litt. Die Ärzte Érius versammelten sich, aber keiner wußte, was ihm fehlte.

Sie gingen zu Fíngen, dem Arzt von Conchobar, und Fíngen kam. Er konnte die Krankheit am Gesicht eines Menschen ablesen und an dem Rauch, der über einem Haus aufstieg, erkannte er die Zahl der darin erkrankten Menschen.

Er nahm Óengus zur Seite und sprach zu ihm: "Dich hat es getroffen, du liebst eine Abwesende."
"Du hast meine Krankheit erkannt", sagte Óengus.
"Du bist in einen bedauernswerten Zustand geraten und hast es nicht gewagt, jemandem davon zu erzählen", sagte Fíngen.
"Du hast recht", sagte Óengus, "eine Jungfrau kam zu mir, die Schönste in Ériu, von vortrefflicher Gestalt. Sie hielt ein Timpán in der Hand und spielte jede Nacht für mich."
"Wie immer dem auch sei", sagte Fíngen, "es war dir vorherbestimmt, mit ihr zusammenzutreffen. Sende nach Bóand, deiner Mutter; sie soll kommen und mit dir sprechen."
Man begab sich zu Bóand, und sie kam.
"Ich pflege diesen Mann", sagte Fíngen, "denn eine schwere Krankheit hat ihn befallen." Sie erzählten Bóand die ganze Geschichte. "Seine Mutter soll sich um ihn kümmern", sagte Fíngen, "eine schwere Krankheit hat ihn befallen. Durchstreife ganz Ériu und suche nach einem Mädchen von der Gestalt, wie sie dein Sohn erblickt hat."

Die Suche dauerte ein Jahr, doch man fand niemanden, der dem Mädchen geähnelt hätte. Fíngen wurde erneut gerufen. "Nichts hat ihm helfen können", sagte Bóand. Sprach Fíngen: "Sendet nach dem Dagda, er soll kommen und mit seinem Sohn sprechen."

Man begab sich zum Dagda, und er kam. "Warum wurde ich gerufen?"
"Um deinem Sohn Rat zu spenden", sagte Bóand. "Es ist besser, daß du ihm hilfst, denn sein Tod wäre traurig. Er verzehrt sich. Er hat sich in eine Abwesende verliebt, und kein Mittel wurde dagegen gefunden."
"Warum sagst du mir das", sprach der Dagda. "Ich weiß nicht mehr als du."
"Wohl weißt du mehr", sagte Fíngen. "Du bist der König der Síde von Ériu. Sende Boten zu Bodb, dem König des Síd von Munster, denn sein Wissen wird in ganz Ériu gepriesen."

Sie begaben sich zu ihm; er hieß sie willkommen: "Willkommen, Volk des Dagda", sagte Bodb.
"Deswegen sind wir ja gekommen."
"Habt ihr Neuigkeiten", sprach Bodb.
"Das haben wir: Óengus, Sohn des Dagda, verzehrt sich seit zwei Jahren."
"Was hat er?", sprach Bodb.
"Er sah im Schlaf ein Mädchen. Wir wissen nicht, wo in Ériu sich das Mädchen befindet, das er erblickt hat und nun liebt. Der Dagda bittet dich, in ganz Ériu nach einem Mädchen von dieser Gestalt und diesem Aussehen zu suchen."
"Man wird sie suchen", sagte Bodb, "aber laßt mir ein Jahr Zeit, bevor ich etwas weiß."

Nach einem Jahr begaben sie sich nach Síd ar Femuin. "Ganz Ériu habe ich durchstreift, bis ich das Mädchen am Loch Bél Dracon (Drachenmaul-See) in Cruitt Clíach fand", sprach Bodb. Dann begaben sie sich zum Dagda und wurden willkommen geheißen.
"Habt ihr Neuigkeiten?", sprach der Dagda.
"Gute Neuigkeiten. Das Mädchen, ganz wie du es beschrieben hast, ist gefunden worden. Bodb bittet dich, Óengus mit uns gehen zu lassen, um herauszufinden, ob er das Mädchen erkennt, wenn er sie erblickt."

Man fuhr Óengus in einem Streitwagen nach Síd ar Femuin. Der König hatte ein großes Fest bereitet, um ihn willkommen zu heißen. Drei Tage und drei Nächte verbrachten sie auf dem Fest. "Komm jetzt mit mir", sagte Bodb, "um das Mädchen zu erkennen, wenn du sie erblickst. Aber erkennst du sie, kannst du sie nur betrachten, denn es ist nicht in meiner Macht, sie dir zu geben." Dann begaben sie sich an den See und sahen dreimal fünfzig Jungfrauen, und die gesuchte Jungfrau war unter ihnen. Die (anderen) Mädchen reichten ihr nur bis zur Schulter. Zwischen jedem Paar der Mädchen hing ein silbernes Kettlein. Óengus' Mädchen jedoch trug einen silbernen Halsschmuck und ein Kettlein aus glänzendem Gold.
Da sagte Bodb: "Kannst du das Mädchen dort erkennen?"
"Wahrhaft erkenne ich sie", sagte Óengus.
"Ich kann nicht mehr für dich tun", sagte Bodb.
"Wie auch immer", sagte Óengus, "denn sie ist es, die ich gesehen hatte. Ich kann sie dieses Mal nicht mit mir nehmen. Wer ist dieses junge Mädchen, Bodb?"
"Ich kenne sie natürlich", sagte Bodb. "Es ist Cáer Ibomeith, Tochter des Ethal Ambúail, aus Síd Famuin in der Provinz Connachta."

Danach kehrten Óengus und sein Volk in ihr eigenes Land zurück. Bodb begleitete sie und sprach mit dem Dagda und Bóand in Bruig ind Maicc Óic (ein anderer Name für Bru na Boinne). Sie erzählten, was vorgefallen und wie das Mädchen in Gestalt und Erscheinung beschaffen war, ganz wie Óengus sie (einst) erblickt hatte. Sie nannten den Namen des Mädchens und den Namen ihres Vaters und Großvaters.
"Leider können wir sie nicht mit uns nehmen", sagte der Dagda.
"Du solltest dich zu Ailill und Medb (König von Connaught) begeben, o Dagda, denn das Mädchen verweilt in ihrer Provinz", sagte Bodb.

Da brach der Dagda nach Connacht auf, mit einer Eskorte von dreimal zwanzig Streitwagen. Der König und die Königin hießen sie willkommen. Eine volle Woche feierten sie über dem Bier, das man ihnen auftischte.
"Was hat dich zu uns gebracht?", sagte der König (Ailill).
"Auf deinem Gebiet befindet sich ein Mädchen, in das sich mein Sohn verliebt hat und nach der er sich nun verzehrt. Ich bin gekommen, um zu erfahren, ob du sie dem Jungen geben kannst."
"Wer ist sie?", sagte Ailill.
"Die Tochter von Ethal Anbúail."
"Wir besitzen keine Macht über sie", sagten Ailill und Medb, "wenn wir könnten, würden wir sie ihm geben."
"Am besten wäre es, wenn ihr nach dem König des Síd (Ethal) senden würdet", sagte der Dagda.
Der Diener von Ailill suchte Ethal Anbúail auf. "Ailill und Medb fordern dich auf, zu kommen und mit ihnen zu reden."
"Ich werde nicht kommen", sagte er, "und ich werde meine Tochter dem Sohn des Dagda nicht geben."
Diese Antwort wurde Ailill überbracht. "Er wird nicht kommen, denn er weiß, warum er gerufen wurde."
"Wie auch immer", sagte Ailill, "er wird kommen, zusammen mit den Köpfen seiner Krieger."

Daraufhin erhoben sich Ailills Mannen und das Volk des Dagda gegen den Síd und zerstörten den Hügel. Dreimal zwanzig Köpfe brachten sie heraus, und den König führte man als Gefangenen nach Crúachu.
Da sagte Ailill zu Ethal Anbúail: "Gib dem Sohn des Dagda deine Tochter."
Sprach der: "Ich kann nicht, denn ihre Macht ist größer als die meine."
"Über welch große Macht gebietet sie denn?", sagte Ailill.
"Das ist ganz einfach: In dem einen Jahr nimmt sie die Gestalt eines Vogels an, in dem anderen Jahr die Gestalt eines Menschen."
"In welchem Jahr ist sie in Vogelgestalt?", sagte Ailill.
"Ich werde sie nicht verraten", sagte ihr Vater. "Den Kopf schlage ich dir ab, wenn du es nicht sagst", sprach Ailill.
"Nun, ich werde es nicht länger verschweigen, sondern es dir verraten, weil du so hartnäckig bist. Zum nächsten Samain-Fest wird sie die Gestalt eines Vogels haben und sich am Loch Bél Dracon befinden. In ihrer Begleitung wird man wunderbare Vögel sehen, dreimal fünfzig Schwäne. Ich werde mich für sie vorbereiten."
Der Dagda sprach: "Das kümmert mich nicht, da ich jetzt weiß, in welcher Wesensform sie zu finden ist."

Dann schlossen Ailill, Ethal und der Dagda Frieden. Ethal wurde freigelassen. Der Dagda nahm Abschied und kehrte nach Hause zurück, um seinem Sohn von den Neuigkeiten zu berichten. "Begib dich zu Samain an den Loch Bél Dracon und rufe sie vom See zu dir."
Óengus begab sich zum Loch Bél Dracon. Er sah dreimal fünfzig weiße Vögel auf dem See, mit silbernen Kettlein und Goldlocken auf den Häuptern. Óengus stand in menschlicher Gestalt am Seeufer.
Er rief das Mädchen zu sich: "Komm, sprich mit mir, Cáer!"
"Wer ruft mich", sagte Cáer.
"Óengus ruft dich."
"Ich werde kommen, wenn du mir dein Ehrenwort gibst, daß ich morgen zum See zurückkehren kann."
"Ich verspreche es", sagte er.

   
Óengus

Da kam sie zu ihm. Er nahm sie in die Arme. Sie vereinigten sich in Gestalt zweier Schwäne und umkreisten den See dreimal. Auf diese Weise wurde sein Versprechen nicht gebrochen. In der Gestalt weißer Vögel brachen sie auf und kamen nach Bruig ind Maicc Óic. Gemeinsam sangen sie, so daß die Menschen dort für drei Tage und drei Nächte in Schlaf fielen. Danach blieb das Mädchen bei Óengus.
Auf diese Weise entstand die Freundschaft zwischen dem Óengus, Ailill und Medb. Deshalb nahm Óengus seine Dreihundertschaft mit auf den Raub der Rinder des Cúlainge. Das ist das Traumgesicht des Óengus.
Kein besserer Freund – kein schlimmerer Feind!
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Óengus - von Hælvard - 03.11.12025, 00:05
RE: Φīwerjon - von Cnejna - 03.11.12025, 19:24
Óengus - von Hælvard - 03.11.12025, 20:36

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