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Das Lied von Troja
#7
Peleus strahlte, und Telamon umarmte mich; sie waren ihrer Sache nicht sicher gewesen.
„Wir könne nicht länger bleiben“, sagte Peleus. „In dem Karren ist alles, was die Jungen brauchen, und ich habe Bedienstete mitgebracht, die dir zur Hand gehen werden. Steht das alte Haus noch?“ Ich nickte.
„Dann können die Diener es als Unterkunft benutzen. Sie haben Befehl, dir aufs Wort zu gehorchen. Du sprichst in meinem Namen.“ Kurz darauf fuhren sie davon.
Während die Sklaven mit dem Entladen des Karrens beschäftigt waren, ging ich zu den Knaben. Ajax stand wie ein Berg da; träge und gefügig, mit blanken Augen. Seinem Dickschädel würde man erst mal ein paar kräftige Schläge verpassen müssen, bevor der Geist darin sich seiner richtigen Funktion bewusst wurde. Achilles sah immer noch die Straße hinunter seinem Vater nach; in seinen Augen schimmerten unvergossene Tränen. Dieser Abschied war für ihn von großer Bedeutung.
„Kommt mit, ihr beiden. Ich bringe euch in euer neues Heim.“ Stumm folgten sie, als ich sie zu meiner Höhle führte und ihnen zeigte, wie gemütlich so ein merkwürdiger Wohnort sein konnte. Ich wies sie auf die weichen Felle hin, auf denen sie schlafen würden, zeigte ihnen den Teil des Hauptraumes, in dem sie mit mir sitzen und lernen würden. Dann ging ich mit ihnen an den Rand des Felsvorsprungs und setzte mich in meinen Stuhl; sie blieben rechts und links von mir stehen.
„Freut ihr euch auf den Unterricht?“, fragte ich, mehr zu Achilles als zu Ajax gewandt.
„Ja, mein Herr“, antwortete Achilles höflich; sein Vater hatte ihm zumindest schon gute Manieren beigebracht.
„Ich heiße Chiron. Und so werdet ihr mich nennen.“
„Ja, Chiron. Vater sagt ich soll mich darauf freuen.“
Ich richtete mein Wort an Ajax. „Auf einem Tisch in der Höhle findest du eine Leier. Bring sie mir – und pass auf, dass du sie nicht fallen lässt.“
Der schwerfällige Bursche sah mich ohne gekränkt zu sein an. „Ich lasse nie etwas fallen“, stellte er sachlich fest.
Ich hob die Brauen und erlaubte mir ein kleines amüsiertes Zwinkern, aber das vermochte in den grauen Augen von Telamons Sohn keine Reaktion hervorzurufen. Stattdesssen tat er wie ihm geheißen, wie ein guter Soldat, der ohne zu fragen jeden Befehl ausführt. Das war das Beste, was ich für Ajax tun konnte, überlegte ich. Aus ihm einen perfekten Soldaten, voller Kraft und Wendigkeit, zu formen. In den Augen von Achilles hingegen entdeckte ich, dass ihm meine kleine Geste der Heiterkeit nicht entgangen war.
„Ajax wird Euch immer genau beim Wort nehmen“, sagte er in jener angenehmen, festen und gemessenen Stimme, die ich schon jetzt so gern vernahm. Er streckte die Hand aus, um auf die Stadt weit unten zu weisen. „Iolkos?“
„Ja.“
Dann muss das dort auf dem Hügel der Palast sein. Wie klein er von hier oben aussieht! Ich dachte immer, der Pelion würde hinter ihm verschwinden, aber von Pelion aus ist er bloß ein gewöhnliches Haus.“
„Das sind alles Paläste, wenn du dich weit genug von ihnen entfernst.“
„Ja, das wird mir jetzt klar.“
„Du vermisst schon Deinen Vater.“
„Ich dachte, ich müsste weinen, aber das ist vorbei.“
„Im Frühjahr wirst Du ihn wieder sehen, und die Zeit bis dahin wird wie im Flug vergehen. Und du wirst keine Gelegenheit zum Müßiggang haben, denn daraus erwachsen Unzufriedenheit, Zwietracht, Boshaftigkeit und Übermut.“
Er holte tief Luft.
„Was muss ich lernen, Chiron? Was muss ich wissen, um ein großer König zu werden?“
„Zu viel um es einzeln aufzuzählen, Achilles. Ein großer König ist eine Quelle des Wissens. Jeder König ist ein Anführer, aber ein großer König weiß, dass er der Vertreter seines Volkes vor G*tt ist.“
„Dann kann ich mit dem Lernen gar nicht früh genug beginnen.“
Ajax kam mit der Leier in der Hand zurück, hielt sie sorgfältig über dem Boden. Es war ein großes Instrument, das eher einer Harfe, wie sie die Ägypter spielen, ähnelte. Es bestand aus dem riesigen Panzer einer Schildkröte, glänzte in allen Braun- und Bernsteintönen und hatte goldene Wirbel. Ich legte die Leier über meine Knie und strich so federleicht über die Saiten, dass nur ein hübscher Klang entstand, aber keine Melodie.
„Ihr müsst die Leier spielen können und die Lieder eurer Völker kennen. Die größte Sünde ist, unkultiviert und ungeschlacht zu erscheinen. Ihr werdet die Geschichte und die Geografie der Welt auswendig lernen, all die Wunder der Natur kenne lernen und die Schätze im Schoß von Mutter Kubaba, die unsere Erde ist. Ich werde euch beibringen, wie man jagt, tötet, wie man mit Waffen kämpft und sich seine eigenen herstellt. Ich werde euch die Kräuter zeigen, mit denen man Krankheiten und Wunden heilen kann, und euch lehren, wie man aus ihnen Medizin macht, und ich werde euch beibringen, gebrochenen Glieder zu schienen. Ein großer König legt mehr Wert auf das Leben als auf den Tod.“
„Auch Redekunst?“, fragte Achilles.
„Ja, natürlich. Wenn wir fertig sind, wird eure Beredsamkeit euren Zuhörern vor Schmerz oder Freude das Herz in der Brust zusammenziehn. Und ich werde euch lehren, Menschen zu beurteilen, Gesetze zu beschließen und sie zu annullieren. Ich werde euch lehren, was die Götter von euch erwarten, denn ihr seid Auserwählte.“ Ich lächelte. „Und das ist erst der Anfang.“
Jetzt nahm ich die Leier, stellte sie auf den Boden und legte die Hände über die Saiten. Ein paar Augenblicke spielte ich nur. Allmählich gewannen die Töne an Kraft, und dann, als der letzte Akkord in der Stille verklang, begann ich zu singen.

Er war allein, umgeben von Feindseligkeit.
Königin Hera breitete düster die Hände aus,
Und der Olymp schüttelte sein goldenes Gebälk,
Als sie ruhelos sich umwandte, um ihn zu beobachten.
Unversöhnlich ihr göttlicher Zorn! König Zeus
In allen seinen Himmeln war machtlos,
Denn versprochen hatte er der ruhmreichen Hera
Ächzende Knechtschaft für seinen Sohn auf Erden.
Eruystheus, ihr kalter und herzloser Günstling,
Lächelte, als er die Rinnen zählte
Vom Schweiß, mit dem Herakles zahlte.
Denn die Kinder der Götter müssen büßen,
Weil die Götter selbst erhaben sind über Vergeltung,
Und das unterscheidet die Menschen
Von den Göttern, die sie zu ihrer Beute machen.
Bastard, der er war, ohne jenen Tropfen Götterblut,
Nahm Herakles den Preis der Leidenschaft auf sich.
Voll Qual und Pein beglich er ihn,
Während Hera lachend zusah, wie Zeus weinte …“

Es war das Lied des Herakles, das auch nach so vielen Jahren noch in mir lebendig war; und während ich sang, beobachtete ich die beiden Knaben. Ajax lauschte aufmerksam, aber Achilles hatte sich gespannt vorgebeugt, das Kinn auf die Hände gestützt, beide Ellbogen auf eine Lehne meines Stuhls gelegt, und seine Augen waren nur eine Hand breit von meinem Gesicht entfernt. Als ich die Leier schließlich weglegte, ließ er die Hände mit einem erschöpften Seufzer sinken.

So begann es, und so ging es weiter, während die Jahre dahinflossen. Achilles stürmte in allem voran, während Ajax gewissenhaft seine Aufgaben erfüllte. Doch Telamons Sohn war kein Narr. Er besaß einen Mut und eine Entschlossenheit, um die ihn jeder König beneiden konnte, und es gelang ihm stets bei allem mitzuhalten. Aber Achilles war mein Knabe, meine Freude. Was immer ich ihm erzählte, er sog es begierig in sich auf – damit er es, wie er lächelnd zu sagen pflegte, benutzen konnte, wenn er ein großer König war.
Er genoss es zu lernen und war auf allen Gebieten hervorragend; konnte die Hände ebenso gut gebrauchen wie den Verstand. Noch jetzt besitze ich einige seiner Tonkrüge und kleinen Zeichnungen.
Aber bei aller Wissbegier – Achilles war geboren, um zu handeln, Kriege zu führen und große Taten zu vollbringen. Selbst körperlich überflügelte er seinen Vetter, denn er war behände wie Quecksilber und sorgte sich um seine Waffen wie eine habgierige Frau um ihren Schmuck. Sein Speer verfehlte niemals das Ziel, und mit dem Schwert war er so schnell, dass ich ihm kaum folgen konnte. Wusch, zisch, zack. O ja, er war geboren, um zu befehlen! Mühelos, instinktiv begriff er das Kriegshandwerk. Jäger, der er war, kam er manchmal mit einem Eber im Schlepptau zurück zu meiner Höhle, der zu schwer war, als dass er ihn tragen konnte; und er war auch in der Lage, eigenhändig einen Hirsch zu erlegen.
Nur einmal sah ich, wie er in Schwierigkeiten geriet, als er seiner Beute mit aller Kraft nachsetzte und dabei so schwer stürzte, dass er einige Zeit brauchte, um wieder zu Sinnen zu kommen. Sein rechter Fuß, so erklärte er, habe versagt.
Ajax konnte gelegentlich außerordentlich zornig werden, doch Achilles habe ich nie seinen Gleichmut verlieren sehen. Obwohl er weder schüchtern noch in sich gekehrt war, besaß er eine innere Ruhe und Zurückhaltung. Ein Krieger mit Verstand. Höchst selten. Nur in einer Beziehung verriet der Schmale Mund, dass es auch eine andere Seite seines Wesens gab:
Wenn er etwas für nicht angemessen hielt, konnte er so kalt und unnachgiebig sein wie der Nordwind, der Schnee mit sich bringt.

Ich genoss diese sieben Jahre mehr als mein ganzes übriges Leben, nicht nur dank Achilles, sondern auch dank Ajax. Die Unterschiede zwischen den beiden Vettern waren so ausgeprägt und ihre Fähigkeiten zugleich so überragend, das es für mich eine mit viel Liebe erfüllte Pflicht wurde, aus ihnen Männer zu machen. Von allen Knaben, die ich unterrichtet habe, liebte ich Achilles am meisten. Als er schließlich für immer fortging, weinte ich, und viele Monde plagte mich Lebensüberdruss wie eine Mücke, die mich so beharrlich heimsuchte wie jene, die einst Io quälte. Es dauerte lange, ehe ich wieder von meinem Stuhl aufsehen und den goldenen Schmuck am Dach des Palastes von Iolkos betrachten konnte, ohne dass ein Schleier vor meinen Augen trat, in dem sich das Gold und die Dachziegel auflösten wie Erz in einem Schmelztiegel.
Im A & O das Geheimnis liegt - Omega siegt!
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[Kein Betreff] - von Hernes_Son - 21.11.12007, 00:20
[Kein Betreff] - von Hernes_Son - 21.11.12007, 00:28
[Kein Betreff] - von Hernes_Son - 22.11.12007, 00:42
[Kein Betreff] - von Hernes_Son - 23.11.12007, 21:47
[Kein Betreff] - von Hernes_Son - 25.11.12007, 00:56
[Kein Betreff] - von Hernes_Son - 02.12.12007, 14:12
[Kein Betreff] - von Hernes_Son - 04.12.12007, 21:28
Re: Das Lied von Troja - von Vendetta - 30.12.12008, 21:36

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