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Bayreuth 2
#1
Untergang der MS Tristan

Schon im Vorfeld war es still vor der Bayreuther "Tristan"-Premiere. Nun wissen wir warum: die Inszenierung war wiederum modern und überhaupt nicht festspielwürdig.

ES IST EIN HOFFNUNGSLOSER UNTERGANG. Seit Jahren. Aufführung für Aufführung sinkt die "MS-Tristan" - diesmal von Ch**stoph Marthaler inszeniert - eine Etage tiefer. Im holzfurnierten Salon mit zwei gigantischen Eckbänken ist erst noch alles klar auf dieser Andrea Doria ...

[Bild: tristan_buehne.jpg]

Gnadenlose Sicht auf ein trauriges Stück. Tristan und Isolde auf dem Luxusdampfer, der "MS Tristan", der diesjährigen Bayreuther Festspiele. Nur noch eine Karikatur einstiger kultureller Größe und spiritueller Weihe.

... Gut, es schwankt ein bißchen, während des Vorspiels, das bei offenem Vorhang gegeben wird - ein Novum bei den Bayreuther Festspielen, und erst nach langer Überzeugungsarbeit des 85jährigen Richard-Wagner-Enkels Wolfgang Wagner abgenickt.

Die Fußpolster der plüschigen Blumen-Ohrensessel gleiten wie von Geisterhand über das Fischgräten-Parkett, und die Sterne im Bühnenhimmel führen ein schwindelerregendes Ballett auf. Bühnenbildnerin Anna Viebrock hat die runden Neonröhren in den Festspielhaus-Katakomben gefunden. Die Gäste an Bord scheint all das nicht zu stören: das "Girlie" Isolde ist mit ihrem selbstzerstörerischem Wahn ganz bei sich: Aufgeschreckt rennt sie durch die Szene, hört Kofferradio und wirkt insgesamt sehr wirr. Tristan in seinem Kapitäns-Aufzug tut währenddessen vor allen Dingen eines: Er sieht gut aus. Doch spätestens wenn die Liebenden am Ende des Aufzuges den Liebestrank aus einer Thermoskanne schlürfen, ist jedem klar: Jeder Festspielbesucher, der nach den Schlingensief'schen Skandalinszenierungen von 2004 auf eine Rückkehr zur klassischen Aufführung gehofft hatte, ist der große Verlierer.

Und tatsächlich gibt es dann im zweiten Bild kein Entkommen mehr für die Freunde der Klassik. Neon-Röhren-Sterne werden zur geschlossenen Decke, zu einer Art "Erichs Lampenladen" mit gelben Tapeten und einem Haufen Lichtschaltern an den Wänden. Das Furnier-Deck ist nur noch als ferne Erinnerungsebene auf diesen Raum geschichtet. Die Szene als visuelle Memoire der Geschichte, die sich erst von hinten nach vorn erklären läßt. In dieser, ihrer Geschichte ist das nachtliebende Paar hoffnungslos gefangen - und weiß es: Tristan und Isolde kämpfen um jeden Lichtschalter, um die Sonne, den Mond und die Sterne in dieser Novalishaften "Ode an die Nacht". Ihre Liebe hat sich längst nach Innen verabschiedet: Körperkontakt ist selten. Das Außen ein einziger, großer Feind, und das Kofferradio spielt dazu.

Ch**stoph Marthaler (Regie) und Anna Viebrock (Bühnenbild) spielen voll auf Risiko, denn der Regisseur, dessen Schauspiele vor allen durch seinen eigentümlichen Umgang mit Langsamkeit und Geschwindigkeit leben, hat sich entschlossen: Wagner und seiner Musik, dem Rhythmus und der eigentlichen wagnerischen Handlung vollends abzuschwören - und den Zuschauer statt dessen mit eigenen, kranken Phantasien zu quälen ... ... und das alles am heiligen grünen Hügel zu Bayreuth.

Der Regisseur läßt seine Figuren einfach nur stehen in den opulenten, strengen und sterilen Bildern - und wartet darauf, daß etwas passiert. Aber es passiert wenig. Und das liegt besonders an Eiji Oue, der den "Tristan" wie ein Kreislauf-EKG dirigiert, das dauernd Mittelmaße mißt. Er schafft keine Tiefenschärfe, keine Ausbrüche, keine innerlichen Wallungen. Alles ist poliert, hübsch, glatt - und ziemlich abartig.

Dabei steht Marthaler ein durchaus bayreuthwürdiges Ensemble zur Verfügung: Robert Dean Smith singt einen erstaunlich souveränen Tristan mit großem Volumen und großer Ausdauer. Allerdings verzichtet man auf jeden heidnischen Bezug, und der Sänger paßt sich dem Bel-Canto-Dirigat an und vernachlässigt so die Häßlichkeit, den Schmerz der Stimme. Im dritten Aufzug verläßt ihn dann auch ein wenig die Kraft, um Phrasierung und erzählerische Gestaltung aufblühen zu lassen.

Die Schwedin Nina Stemme zeigt als Isolde, daß ihre Stimme längst auf die Größe einstiger Wagner-Heroinnen gewachsen ist. Aber auch ihr gelingt es selten, den Körper in Geist zu verwandeln, vokale Entgrenzung zu erzeugen. Ihr "Liebestod" bleibt am Boden haften - und ist alles andere als entrückt. Es ist ein wütendes "Götterdämmerungs"-Finale, statt eines sinnlichen "Tristan"-Endes.

Marthaler versucht Wagners vielschichtige Charakteren zu stereotypen Neuzeitmenschen zu mutieren. König Marke von Kwangchul Youn im grauen Mantel bleibt dabei volltönend, doch eindimensional böse, der Kurwenal von Andreas Schmidt ist (im lächerlichen Schottenrock) längst abgesungen und Bayreuth-indiskutabel. Die Bgrangäne von Petra Lang ist die solide Psychologisierung einer behütenden Matrone.

Erst im dritten Aufzug beginnt Marthaler dann, so etwas wie eine Geschichte zu erzählen, wenn die Bühne sich vollends als Szenen-Torte in den Himmel geschraubt hat und eine Art Verließ zu erkennen ist. Die Sterne sind aus dem Universum gefallen, hängen als Kettenringe an den angefaulten, weißen Wänden und flackern nur noch müde, wenn der Liebende die Liebende ersehnt. Tristan ist wie Lenin auf einem heutigen "high-tech"- Krankenbett aufgebahrt - die Welt tritt in den apokalyptischen Raum und nimmt Abschied. Isolde stirbt auf seinem Krankenbett.


Als es (endlich) vorbei war, küßte der japanische Dirigent Eiji Oue den Bühnenboden, ein Zeichen des Respekts, wohl aber auch der Erleichterung.

Marthaler/Viebrock kassierten leider nur überraschend lustlose Buhrufe.

Fazit: Der Untergang der kulturellen Würde des Abendlandes beginnt und endet in Bayreuth.

Entweder man findet einen Weg oder man schafft einen Weg!
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[Kein Betreff] - von Paganlord - 01.08.12005, 13:57
RE: Bayreuth 2 - von Dancred - 26.07.12013, 10:04
RE: Bayreuth 2 - von Paganlord - 26.07.12013, 11:49
RE: Bayreuth 2 - von Slaskia - 26.07.12013, 14:09
RE: Bayreuth 2 - von Wishmaster - 26.07.12013, 14:21
RE: Bayreuth 2 - von Violetta - 26.07.12013, 18:14
RE: Bayreuth 2 - von Benu - 27.07.12013, 19:30
RE: Bayreuth 2 - von Waldläufer - 22.06.12019, 08:04
RE: Bayreuth 2 - von Cnejna - 24.06.12019, 10:55
RE: Bayreuth 2 - von Aglaia - 24.06.12019, 15:05
RE: Bayreuth 2 - von Erato - 01.08.12019, 21:57
Re: Bayreuth 2 - von Aglaia - 26.07.12010, 17:52
Re: Bayreuth 2 - von Aglaia - 30.07.12010, 11:36
Re: Bayreuth 2 - von Aglaia - 30.07.12010, 11:39
Re: Bayreuth 2 - von Dancred - 30.07.12010, 13:37
Re: Bayreuth 2 - von Paganlord - 30.07.12010, 14:10
Re: Bayreuth 2 - von Aglaia - 30.07.12010, 15:40
Re: Bayreuth 2 - von Aglaia - 02.08.12010, 17:37

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