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Alexander, wie alles begann
#1
Alexander, wie alles begann

(Aus G. Haef "Alexander" und "Alexander in Asien" leicht veränderte Fassung)

Der sinkende Feuerball im Westen überzieht fern im Osten die Spitzen der kaum noch sichtbaren Pyramiden mit Glut. Die Dämmerung über der Wüste ist kurz; nur wenige Momente glitzert der Sand. Von Osten nähert sich ein einachsiger Wagen mit zwei Männern. In der Nähe lacht eine Hyäne; das Gelächter bricht ab, als weiter fort ein Löwe brüllt. Eine kleine Schlange gleitet von einem Steinhaufen und verschwindet zwischen Flechten. Der Steinhaufen ist die Spitze einer fast versunkenen Tempelpyramide. Bis die beiden Männer mit dem Wagen sie erreichen, sind die ersten Sterne zu sehen. Im knisternden Schweigen der Nacht sind nur die leisen Stimmen zu hören, als die Männer vom Wagen steigen und zur Pyramide gehen: ein Ägypter und ein Hellene. Mit harten Vokalen sagt der Ägypter, der Priesterkleidung trägt:

»Der Ehrwürdigste ist weit hergekommen, aus dem Heiligtum in Siwah. Er wird nicht erfreut sein, statt eines Priesters nur einen Händler zu sehen - auch wenn du in die Mysterien eingeweiht bist. Sag möglichst wenig.«

Der Hellene machte eine Handbewegung, als ob er ein aufgerafftes Gewand fallen ließe; sie gehen zur anderen Seite der Pyramide. Dort führen halbverfallene Stufen in den Boden. Im ersten Raum lodern Fackeln zwischen geborstenen Säulen und verwitterten Götterstatuen. Die Schatten scheinen zu tanzen; eine Katze verbirgt sich zu Füßen des Horosköpfigen.

Der zweite Raum ist heller: mehr Fackeln, dazu Lampen und ein großes Feuer. Auch hier taumelnde Säulen und wankende Götter: Isis, Thoth, Harthor, Horos, ein Apisstier - ringsum an den Wänden Glyphen und Darstellungen aus den ägyptischen Totenbüchern. Jenseits des Feuers die Statue eines hockenden Greises unter einer großen Tafel der Sternzeichen.

Die Statue des Greises bewegt sich jedoch; der Greis hebt den Kopf und starrt den Eintretenden entgegen. Er ist uralt. Den kahlen Kopf bedeckt eine weiße Kapuze nur zum Teil; das fahle weiße Gesicht vermengt sich mit den Falten des weißen Gewands. Die tiefliegenden Augen versprühen schwarzes Feuer.

Der Greis öffnet den beinah zahnlosen Mund; er spricht sehr tief. Ägyptisch, schnell, hart und hörbar zornig. Der andere Priester verneigt sich mehrmals, antwortet betont demütig, wendet sich schließlich an den Hellenen.

»Wie ich sagte«, flüstert er, dann lauter: »Der Ehrwürdigste ist aus Siwah gekommen, um die wichtigste Botschaft seit Jahrhunderten zu überbringen. Was weißt du vom Großen Jahr?«

Der Hellene hebt die Schultern: »So viel und so wenig wie jeder. Die kleinen Sterne rennen, die großen, die unsere Zeichen bilden, stehen scheinbar still, aber auch sie bewegen sich. Nach etwas mehr als fünfundzwanzigtausend Jahren stehen sie dann wieder so wie zu Beginn. Dann fängt ein Neues Zeitalter an - ein neues Großes Jahr. Ist es das?«

Der Uralte blinzelt; langsam steht er auf. Er beginnt mit schwarzer, knarrender Stimme zu sprechen. Während er redet, berührt er auf der Zodiak-Tafel die einzelnen Sternbilder.

»Unser kleines Jahr endet, wenn der Winter endet, im Zeichen der Fische. Das neue Jahr beginnt mit dem Widder, es ist die Zeit des Säens und des Aufbruchs, wenn die Reiher fliegen und die Schiffe segeln. Dann kommt der Stier, dann all die anderen Zeichen. Im Großen Jahr läuft der Kreis anders herum. Die letzten Weltenmonde im Großen Jahr sind Stier, dann Widder; das Neue Zeitalter beginnt im Zeichen der Fische.«

Er macht eine Pause, scheint aber keineswegs erschöpft. Der jüngere Ägypter blickt den Hellenen von der Seite an: »Hast du verstanden?«

Der Hellene grinst plötzlich: »Ich bin ja nur ein Händler und Seefahrer, aber mit den Sternen muß ich mich ein wenig auskennen, sonst komm ich nicht an mein Ziel. Ja, ich hab das verstanden. Ist ja nicht so schwer. Ich weiß nur nicht, was daran so unendlich wichtig ist.«

Der Alte macht ein kratzendes Geräusch tief in der Kehle: »Du wirst hören, Hellene. Jeder Weltenmond wird beherrscht von den Göttern, in deren Zeichen er steht.« Die Hand geht wieder zur Karte des Zodiaks. »Es sind immer etwa zweitausendeinhundert unserer kleinen Jahre. Als Die Fruchtbare endete und das milde Atlantis versank, begann der Mond des Löwen, des Herrn über Feuer und Krieg; an ihn und seine Einheit mit den großen Fürsten erinnert die Sphinx. Sie wurde am Ende des Großen Löwen-Mondes errichtet. Dann kamen die Monde Des Gepanzerten und Der Göttlichen Brüder, dann der des Stiers.« Der Alte deutet auf den Apisbullen. »Nun leben wir vor dem Ende des Großen Widder-Mondes, unter der Herrschaft Amûns, dessen Sohn und Gefäß der Pharao ist. In etwa zweihundertfünfzig kleinen Jahren ist das Ende der Zeit, und es beginnt ein neues Großes Jahr. Wir wissen nicht, wer der Herr der Fische sein wird. Aber wir wissen, daß der Herr des Widders bis dahin herrschen muß, wenn nicht Mâats ewige Waage kippen soll. «
Entweder man findet einen Weg oder man schafft einen Weg!
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Alexander, wie alles begann - von Paganlord - 07.05.12005, 14:16
[Kein Betreff] - von Paganlord - 07.05.12005, 14:47
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