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Alexander, wie alles begann
#10
Träume, Ängste und Besitzansprüche

Philipp schlief unruhig in dieser Nacht. Er wälzte sich im Traum mal auf die eine, dann auf die andere Seite. Im Traum erschien ihm Olympias und sagte ihm, daß genau 13 Tage seit der Hochzeit vergangen wären und daß er ihr und dem Tempel einen Eid geschworen habe, an welchen er lebenslang gebunden sei. Philipp erwiderte, daß er das Versprechen nur gab, um sie als Frau zu bekommen. Er sagte zu ihr: Du gehörst jetzt mir und keinem dieser Priester mehr! Ich bin dein König und ich will dich ewiglich besitzen. Es soll dein Schaden nicht sein, Olympias; ich achte die Priester, aber meine Frau will ich für mich allein besitzen! Olympias wandte sich mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck ab und ging von Philipp weg. Philipp verfolgte sie in seinem Traum, griff Olympias an den Armen, und dann nahm er sein Siegel und drückte es Olympias auf den Leib. Er sah zu, wie das Siegelwachs sich verfestigte und, so schien es ihm, war ein Löwe darauf abgebildet.

Als Philipp erwachte schien der Traum noch immer so real, so wirklich, daß er sich zu fürchten begann, was der Traum wohl zu bedeuten hätte. Also befahl Philipp an diesem Morgen zuerst einige Wahrsager zu sich. Er ging jedoch mit Absicht nicht zu Aristandros, da er plötzlich mutmaßte, daß dieser mit Olympias gemeinsame Sache gegen ihn machte. Das schien ihm plötzlich klar, und so war der erste Keim des Mißtrauens gesät. Philipp begann in diesem Augenblick damit, an Olympias und an Aristandros, dem obersten Priester Makedoniens zu zweifeln. Die Ursache dieser Zweifel waren jedoch sein Besitzanspruch an Olympias, seine Angst sie zu verlieren und sein Ego, daß er als König nur ein kleines Rädchen im Getriebe der Priester sei und nicht der Mittelpunkt aller Politik und die wichtigste Person, um die sich alles zu drehen hat.

Als die Wahrsager und Traumdeuter kamen, bestärkten sie Philipp in seinen Ansichten und Ängsten und sagten zu ihm: Er müsse besser auf Olympias aufpassen. Der Traum will ihm sagen, daß Olympias sich von ihm abwenden wird, wenn er sich nicht von Olympias beherrschen lassen will. Olympias strebt nach der Oberhand, und auch die Priester versuchen Philipp zu manipulieren.

Philipp war nun in großer Sorge. Langsam und zögernden Schrittes ging er auf und ab und setzte sich auf einen Stuhl. Er verschränkte die Arme hinter seinem Nacken und überlegte. Dann faßte er sich ein Herz, sprang plötzlich auf und ging schnurstracks den Weg, der zum Quartier des Aristandros führte. Der Priester empfing ihn freundlich, und Philipp erzählte ihm sowohl seinen nächtlichen Traum als auch das, was ihm die Wahrsager dazu interpretiert hatten. Aristandros lachte aus ganzem Herzen.

"Philipp, König der Makedonen, die besten Priester des Reiches stehen dir zur Verfügung, und du suchst mittelmäßige Wahrsager und zweifelhafte Sternendeuter auf, um etwas über deine Träume zu erfahren?"

Philipp blickte in Aristandros' Augen und beschloß den Priester zu prüfen. "Dann sage mir, Aristandros aus Telmessos, was ein solcher Traum zu bedeuten hat: Ein Freund und alter Waffengefährte träumte, daß ihm seine oberen Zähne ausfielen und daß er alleine mit der unteren Zahnreihe kauen müßte. Einzig die beiden oberen Eckzähne blieben erhalten. Er konnte diese Eckzähne jedoch nur dann im Spiegel erkennen, wenn er die Oberlippe mit seinen Händen nach oben zog."

Aristandros war zu klug, um nicht zu bemerken, daß es sich um eine Prüfung des Königs handelte und daß der vermeintliche Freund wohl der König selbst wäre. Da Philipp ihm diese Frage stellte, schien es also so, daß Philipp die Bedeutung des Traumes bereits kannte bzw. sie im Leben erfahren hatte.

Er antwortete Philipp: "Was die Deutung der Zähne anbetrifft, verhält es sich damit folgendermaßen: Die oberen Zähne weisen auf die Bessergestellten und Standespersonen im Haus des Träumenden hin, die unteren auf die kleinen Leute. Man hat nämlich den Mund als ein Haus und die Zähne als die Menschen im Haus aufzufassen; dabei bezeichnen die der rechten Reihe Männer, die der linken Frauen. Von dieser Regel gibt es nur wenige Ausnahmen, z. B. wenn ein Bordellbesitzer nur Frauenzimmer oder ein Landwirt nur Männer in Dienst genommen hat. Bei diesen bedeuten die rechten Zähne die älteren, die linken die jüngeren Männer oder Frauen.

Ferner bezeichnen die sogenannten Schneidezähne, d. h. die Vorderzähne, die ganz jungen Leute, die Eckzähne Personen von mittlerem Alter, die Backenzähne die bejahrten. Welcher Art der Zahn ist, den einer zu verlieren träumt, dementsprechend wird er den Verlust eines Menschen beklagen, dessen Symbol er ist. Da die Zähne aber nicht nur Menschen, sondern auch das Hab und Gut bedeuten, hat man die Backenzähne auf die Kostbarkeiten, die Eckzähne auf die weniger wertvollen Gegenstände, die Schneidezähne auf die Hausgeräte zu beziehen. Ganz folgerichtig zeigt also ihr Ausfallen den Verlust eines Hab und Gutes an. Sodann bedeuten die Zähne die Lebensbedürfnisse, und zwar die Backenzähne die geheimen und unaussprechlichen, die Eckzähne diejenigen, die nur wenigen Leuten bekannt sind, die Schneidezähne aber die ganz offenkundigen und die durch Wort und Stimme verrichtet werden. Ausfallende Zähne sind somit ein Hindernis in der Befriedigung der entsprechenden Bedürfnisse. Ich müßte nun die genauen Lebensumstände deines Freundes erfahren, um diese grundsätzliche Aussage zu präzisieren."

Philipp schien jedoch zufrieden mit der sehr ausführlichen Antwort des Sehers und brummte nur zustimmend und winkte ab. "Nicht so wichtig mein Freund! Sage mir lieber ganz exakt, was mein Traum zu bedeuten hat – nur deswegen bin ich heute beunruhigt und habe dich aufgesucht."

Aristandros lächelte den König an. "Nichts weswegen du dich sorgen müßtest, großer König der Makedonen. Der Traum bedeutet, daß deine Frau schwanger geworden ist. Du hast das Siegel schließlich auf den Leib Olympias gedrückt. Was aber leer ist, das wird nicht versiegelt! Olympias ist schwanger mit einem Knaben von leidenschaftlicher, löwenhaft kühner Art."

Der König atmete erleichtert auf und fühlte instinktiv, daß diese Deutung der Wahrheit entsprach. Er wußte, daß Aristandros es nicht riskieren würde, ihn auf diese Weise zu belügen. Zu leicht und schnell läßt sich überprüfen, ob Olympias tatsächlich schwanger sei und in 9 Monden wüßte er außerdem, ob der Telemacher mit dem Geschlecht des Kindes recht gehabt hatte. Dann, so sagte er sich selbst, würde er auch dem Priester wieder vollständig vertrauen; Olympias hätte das gewünschte Kind erhalten, er hätte seinen Teil der Abmachung damit erfüllt, und sie würde damit ewiglich nur ihm gehören ...

wird fortgesetzt

Entweder man findet einen Weg oder man schafft einen Weg!
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Alexander, wie alles begann - von Paganlord - 07.05.12005, 14:16
[Kein Betreff] - von Paganlord - 07.05.12005, 14:47
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