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Die Normannen
#1
Am Morgen des 28. September 1066 bot sich den Einwohnern von Pevensey an der Südostküste Englands ein ungewöhnlicher Anblick: Vor Ihnen aus dem Meer erhob sich, gebläht von einem starken Südwind, eine regelrechte Wand aus Segeln - den vertrauten rechteckigen Segeln der offenen Raubschiffe der Wikinger. Doch den Anwohnern wurde bald klar, daß dies mehr als nur ein Beutezug war. Die langsam herannahenden 700 Schiffe hatten ein stattliches Heer von Kriegern und Knappen an Bord, Gefolgsleute, Proviantmeister, Zimmerer und Schmiede, insgesamt mehr als 7000 Mann. Es war die größte Invasionsflotte, die den Ärmelkanal seit der römischen Eroberung vor mehr als tausend Jahren überquerte.

An der Spitze segelte das Flaggschiff Mora mit Wilhelm, dem 38jahrigen Herzog der Normandie und Prätendenten des Thrones von England. Als er vom heimatlichen Frankreich aus in See stach, setzte er alles auf eine Karte, denn er hatte keine Ahnung, wie groß das Heer war, das sich ihm entgegenstellen würde. Die Invasion war ein kühner Streich - typisch für einen Führer der Normannen, Nachkommen der kühnen Wikinger, die sich in Nordfrankreich ein mächtiges Reich geschaffen hatten und jetzt ihre militärische Kraft auf die Gründung von Staaten konzentrierten.

Das gewagte Unternehmen des Eroberers gelang. Knapp drei Monate nach der Landung in Pevensey wurde der siegreiche Herzog als Wilhelm I. in der Londoner Westminster-Abtei zum König gekrönt. Auch wenn es noch fünf Jahre bis zur völligen Eroberung Englands dauern sollte, war das Schicksal des alten Inselreichs bereits endgültig besiegelt. Die Normannen bildeten in der Folgezeit die neue Oberschicht in Kirche und Staat, hatten Regierung und Rechtsprechung des Landes in der Hand, stärkten die Monarchie, erfüllten die Kirche mit neuem Leben und bauten Burgen und Kathedralen. Vor allem lösten sie Englands alte Bindung an Skandinavien, das unter dem Dänischen König Knut (1016-1035) für zwei Jahrzehnte die Herrschaftsschicht im Land gestellt hatte. Die normannische Eroberung bedeutete die Geburt des neuen Englands.

In geschichtlicher Hinsicht stellt diese Eroberung jedoch nur eine Episode der zahlreichen normannischen Expeditionen dar. Schon ein halbes Jahrhundert bevor Wilhelm den Ärmelkanal überquerte, hatten normannische Ritter ihre Beutezüge nach Italien unternommen; 1061 beherrschten sie schon ganz Unteritalien. In jenem Jahr überquerten sie mit einem 2000 Mann starkem Heer die Straße von Messina und griffen die Macht der Sarazenen an, die Sizilien seit mehr als zwei Jahrhunderten unter islamischer Herrschaft regiert hatten. Obgleich die Normannen nur Söldner waren, die Land und Ruhm suchten, zeigte diese Eroberung in gewisser Hinsicht weitreichendere Folgen als die von England. Sie führte zur Schaffung der stärksten Monarchie Europas und zum Entstehen des aufgeklärtesten Ch**stlichen Königreichs des Mittelalters: eines blühenden, wohlgeordneten Reichs, in dem zum ersten und letzten Mal in der Geschichte die drei großen mediterranen Kulturen, die römische, griechische und arabische, in relativer Harmonie nebeneinander existierten. Am Ende des Jahrhunderts war der Sohn des ersten normannischen Herrschers von Sizilien über Anatolien und Armenien bis zu den Küsten der Levante vorgestoßen, wo er das Fürstentum Antiocheia errichtete, eine der ersten Staatsgründungen des siegreichen Ersten Kreuzzuges.

Trotz ihres späteren Einflusses war die Geschichte der Normannen um das Jahr 1000 doch verhältnismäßig jung. Der Name ,,Nordmänner" weist auf ihre Wikingervorfahren hin. Im engeren Sinne nannten sich ,,Normannen" jedoch vor allem die dänischen Siedler, die sich in der Mitte des 9. Jahrhunderts an der nordwestfranzösischen Küste niedergelassen hatten. Nach längeren Auseinandersetzungen einigten sie sich mit Karl dem Einfältigen, König der Westfranken, der ihren Anführer Rollo im Jahre 911 mit dem Herzogtum Normandie abfand, einem Gebiet an der unteren Seine. Dafür erkannte Rollo ihn als Lehnsherrn an und trat zum Ch**stentum über.

Zu der Zeit bestand das westfränkische Königreich aus der Krondömane rund um Paris sowie einer Reibe von Vasallenstaaten, zu denen die großen Herzogtümer Burgund und Aquitanien sowie kleinere Grafschaften wie die Bretagne, Poitou und Anjou gehörten. Außerhalb der Krondomäne hatte die fränkische Dynastie der Kapetinger (nach ihrem Gründer Hugo Capet benannt, König von 987-996) nur wenig Macht, denn sie lag in der Hand von Regionalherrschern, die ihr Land praktisch unabhängig regierten und unablässig mit ihren Nachbarn Krieg führten, auch wenn sie den König in Paris als Oberherrn anerkannten. Diese instabilen Verhältnisse kamen den Normannen zugute, und ihr neues Herzogtum Normandie vergrößerte sich rasch. Schließlich bildete es ungefähr ein Rechteck aus vorwiegend flachem oder sanft hügeligem Land, das sich von der Nordküste Frankreichs etwa 250 Kilometer landeinwärts erstreckte.

Im Laufe von drei Generationen wurde die Normandie das mächtigste französische Fürstentum. Ein Grund für diese Entwicklung war die Anpassungsfähigkeit der Normannen: Sie machten sich bestehende Einrichtungen und Systeme zu eigen, wandelten sie geringfügig ab, bauten sie aus und verbesserten sie. Als kleine Oberschicht wählten sie sich ihre Ehefrauen aus der einheimischen Bevölkerung; sie übernahmen deren Sprache so rasch, daß innerhalb eines Jahrhunderts die altnordische Sprache in Frankreich fast ausgestorben war. Heute finden sich Spuren des Altnordischen nur noch in lokalen Dialekten. In der gleichen Zeit wandelten sich die Normannen von einem naturreligiösen Heidenvolk in gläubige Ch**sten. Damit hatte das ursprüngliche Volk der Nordmänner aufgehört zu existieren.

Den Tod ihres Herzogs Rollo etwa verewigten sie mit Schenkungen an Klöster, die seinem Seelenheil dienen sollten, gleichzeitig aber auch mit einem heidnischen Blutopfer von 100 Gefangenen. Doch schon ein Jahrhundert später waren die Normannen so eifrige Anhänger der neu angenommenen Religion, daß sie einen großen Teil der Pilger ausmachten, die nach Rom und ins Heilige Land strömten.

Mit der Begeisterung von Neubekehrten verbreiteten oder erneuerten sie das Ch**stentum in ihren Ländern. Sie stellten zerstörte Diözesen wieder her und errichteten Kathedralen und Klöster. Die von ihnen ausgehende kirchliche Erneuerung belebte auch die Wissenschaften; aus den Klöstern gingen große Gelehrtenschulen hervor wie die 1045 gegründete Abtei von Bec im heutigen Le Bec Hallouin, in der Nahe von Brionne, die bald Schüler aus ganz Westeuropa anzog.

Neben Sprache und erzwungener Religion übernahmen die Normannen auch die fränkische Art der Kriegführung zu Lande, insbesondere die tödliche Verbindung von Schlachtroß und Lanze. Die normannischen Ritter, durch ein Kettenhemd geschützt und dank eines langen Steigriemens in fast stehender Haltung fest und gut gesichert im Sattel sitzend, stellten in vollem Galopp eine gefährliche Streitmacht dar. Byzantinische Zeugen ihrer Kämpfe bei den Kreuzzügen behaupteten halb bewundernd, daß solche Männer die Mauern von Babylon einreißen könnten.

Diese berittenen Krieger bildeten die militärische und gesellschaftliche Elite. Die gesamte weltliche Führungsschicht des Herzogtums bestand aus Rittern, eine Würde, die nur nach ausgedehnter, strenger Waffenausbildung verliehen wurde. Doch nicht alle Ritter wurden wohlhabend geboren; durch das sich bei den Normannen gerade durchsetzende Ältestenerbrecht, wonach Besitz in der Regel ungeteilt auf den erstgeborenen männlichen Erben überging, konnten die jüngeren Söhne nur hoffen, Landbesitz und damit wirtschaftliche Sicherheit im Dienste eines hohen Adligen zu erringen. Nicht alle Ritter hatten jedoch das Gluck - viele besaßen ihr Leben lang kein Land.

Nach geltendem Recht gehörte alles Land dem regierenden Herzog, der es seinen Lehnsleuten nur als Gegenleistung für ihre Gefolgschaft überließ. Die große Mehrheit der normannischen Adligen, alle Bischöfe und viele Klöster hatten ein Lehen unter der Bedingung inne, daß sie jederzeit eine bestimmte Anzahl ausgebildeter und ausgerüsteter Ritter stellen konnten. So gewannen die normannischen Herzöge einen Adelsstand, der vor allem ihren eigenen Interessen diente.

Ähnliche Feudalstrukturen gab es auch in anderen Ländern Westeuropas. Doch die Normandie übertraf alle anderen fränkischen Fürstentümer in der Strenge, mit der sie auf den Verpflichtungen ihrer Lehnsleute bestand; ebenso wurde der Ausbildung und Ausrüstung der Armee größere Bedeutung beigemessen. Um die Gefahr von Adelsaufständen zu verringern durften Burgen nur mit Erlaubnis der normannischen Herzöge gebaut werden: auch die Pforten fremder Burgen auf seinem Gebiet mußten ihn auf Verlangen geöffnet werden. Außerdem sorgten die Herzöge dafür, daß ihr eigenes Heer das jeweils größte im Herzogtum blieb; die Ausgaben dafür bestritten sie mit dem Gewinn aus Münzprägerecht, Handelszöllen Gerichtsgebühren und den direkten Abgaben ihrer Lehnsleute. Über die Wahrung der herzöglichen Rechte wachten als Stellvertreter Vicomtes, die ihnen direkt unterstanden Sie mußten die Steuern eintreiben und für Recht und Ordnung sorgen. So hatten die normannischen Herzöge eine größere Macht in ihrem Gebiet als die übrigen westeuropäischen Herrscher jener Zeit.

In gefährlichem Maße hing es aber bei dieser straffen Zentralisierung der Macht auch von der Stärke und dem Charakter des jeweiligen Herrschers ab, ob die Normandie sich als Staat behaupten konnte. Von 1028 bis 1035 erfuhr das Herzogtum die rücksichtslose Unterdrückung durch Herzog Robert I., einem gewalttätigen und charakterschwachen Mann. Um an die Macht zu kommen, hatte er seinen älteren Bruder töten lassen und den Sohn und Erben des Ermordeten ins Kloster verbannt. Es wird sogar berichtet, er habe seine Stellung durch die Vergabe von Kirchenland an weltliche Lehnsleute zu festigen gesucht. Die Normandie erduldete seine Maßlosigkeiten; als er jedoch auf der Rückkehr von seiner Pilgerfahrt nach Jerusalem aus ungeklärter Ursache im fernen Anatolien starb, drohte das Herzogtum in Anarchie zu fallen. Robert war unverheiratet gestorben; sein Erbe, der uneheliche Sohn Wilhelm, war zu diesem kritischen Zeitpunkt gerade erst acht Jahre alt.

VVilhelm war aus Roberts Jugendliebschaft mit Herleve hervorgegangen, der hübschen Tochter eines Lohgerbers in Falaise. Als Robert Herzog wurde hatte er nicht daran gedacht, das Kind durch eine Ch**stliche Heirat mit einem Mädchen von niederer Herkunft zu legitimieren. Statt dessen verheiratete er sie, nachdem sie ihm eine Tochter geboren hatte, mit dem reichen Adligen Herlwin de Contville, von dem sie zwei Söhne bekam. Odo und Robert. 30 Jahre später, als VVilhelm England eroberte, waren seine jüngeren Halbbrüder-0do, Bischof von Bayeux, und Robert, Graf von Mortain - seine Statthalter und gehörten zu den größten Nutznießern der Eroberung.

Wilhelms turbulente Jugendjahre ließen nicht auf seinen späteren Ruhm schließen. Ein Wunder, daß er überhaupt das Mannesalter erreichte. Obgleich ihn sein Lehnsherr der westfränkische König Heinrich I., unterstützte, wurde sein Herschaftsanspruch in der Normandie angefochten und damit der Verfall der Zentralgewalt eingeleitet. In dem darauffolgenden Jahrzehnt der Anarchie suchten die Territorialherren ihre Unabhängigkeit zu sichern; sie trieben auf eigene Rechnung Steuern ein und stellten Heere für ihre eigenen Kriege auf. Letztlich konnte Wilhelm sich nur noch auf eine kleine, ihm treu ergebene Gruppe von Adligen stützen. Berichtet wird von wenigstens einem Mordanschlag, dem er - gewarnt - nur durch eine dramatische nächtliche Flucht auf seine Burg in Falaise entging. Drei seiner Vertrauten wurden in dieser unruhigen Zeit ermordet: Sein Lehrer und sein Seneschall starb eines gewaltsamen Todes, und sein Onkel Osbern wurde im Kampf getötet, als Rebellen in die Kammer des jungen Herzogs einzudringen versuchten.

Zum Glück für die Normandie wuchs der junge Herzog zu einem kräftigen Mann von unbeugsamem Charakter heran; schon mit 16 Jahren beherrschte er alle Kampftechniken so gut, daß König Heinrich ihn zum Ritter schlug. Drei Jahr später, im Jahre 1047besiegte er das Heer seines Vetters Guy von Burgund, der ebenfalls Ansprüche auf das Herzogtum angemeldet hatte. In dieser Schlacht von Val-és-Dunes, in der weiten Ebene westlich von Caen, zeigte sich zum ersten Mal Wilhelms persönliche Überlegenheit. Sein Verhalten im Kampf war beeindruckend; ein Chronist vermerkt, daß ,,die meisten Normannen nicht für eine gerechte Sache kämpften", und fügt hinzu, daß Wilhelm, ,,der Führer des rächenden Heeres, sich vom Anblick ihrer Schwerter nicht einschüchtern ließ, sondern sich auf den Feind warf und wild darauflosschlagend Angst und Schrecken verbreitete." Nach der Schlacht bewies er politischen Scharfsinn, als er - mit einer Ausnahme - alle Überlebenden der aufständischen Adligen begnadigte, wofür sie ihm den Lehnseid schwören mußten.

Damit waren die Konflikte in der Normandie zwar noch nicht beendet, doch mit jedem Jahr bekam Wilhelm sein Erbe fester in den Griff. Gleichzeitig sicherte er die Grenzen gegen Angriffe von außen. Im Jahre 1048 verbündete er sich mit König Heinrich gegen G*ttfried Martell von Anjou, der die normannische Südgrenze bedrohte. Etwa drei Jahre später heiratete er Mathilde, die zierliche, nur 1,20 Meter große Tochter Balduins von Flandern, des nordöstlichen Nachbarn, eine glückliche und fruchtbare Verbindung, aus der wenigstens fünf Töchter und vier Söhne hervorgingen; zwei der Söhne - Wilhelm und Heinrich - sollten später Könige von England werden.

Die Verbindung mit Flandern stärkte Wilhelms Macht so sehr, daß sich sein langjähriger Gönner, König Heinrich, schließlich gegen ihn wandte. Der König schloß ein Bündnis mit G*ttfried Martell und fiel 1054 und 1058 in die Normandie ein. Jedesmal konnte Wilhelm durch sein taktisches Geschick die Oberhand behalten, und die Eindringlinge mußten sich mit schweren Verlusten zurückziehen. Als Heinrich und G*ttfried 1060 starben, gaben ihre Nachfolger diese vergeblichen Überfalle auf. Wilhelm konnte es sich jetzt leisten, zum Angriff überzugehen; im Jahre 1063 eroberte er die der Normandie benachbarte Grafschaft Maine und marschierte im folgenden Jahr nach Westen, um dem Herzogtum Bretagne seine Oberhoheit aufzuzwingen.

Damit war Herzog Wilhelm der mächtigste Herrscher im nördlichen Frankreich. Er beherrschte ein Gebiet, das sich vom Mont St. Michel im Westen bis zur lle-de-France erstreckte. Vorbei waren die Tage, als widerspenstige Untertanen den jungen Herzog zu verspotten wagten, indem sie auf Häute trommelten und riefen: ,,Felle für den Gerber". Wilhelm wurde jetzt von der Mehrheit seines Volkes gefürchtet und geachtet.

Die Erfolge seiner strengen und fähigen Führung waren beeindruckend: ein leistungsfähiges Verwaltungssystem, eine blühende, erneuerte Kirche und wachsender Wohlstand. Wie die meisten Feudalherren seiner Zeit konnte Wilhelm zwar mit ziemlicher Sicherheit nicht lesen und schreiben, doch seine harte Jugend hatte ihn anpassungsfähig gemacht: Er besaß Verstand und die Gabe, sich rasch auf die jeweiligen Umstände einzustellen und sie sich zunutze zu machen. Außerdem war er als frommer Mensch ein großer Förderer der Kirche.

Wilhelm war groß und beleibt, obwohl mäßig im Essen und Trinken. Zeitgenössische Chronisten vermerkten, daß er an seiner Frau hing und ihr treu blieb, was zu der Zeit ungewöhnlich war. Er sprach gewandt und überzeugend, konnte aber auch schroff und heftig sein, wenn jemand sich ihm entgegenstellte.

Wie fast alle normannischen Herren war Wilhelm aber vor allem ein Mann der Tat, der den Kampf und die Jagd liebte. Bis zum Jahre 1066 hatte er sich fast ausschließlich damit beschäftigt, Kriege vorzubereiten oder zu führen. Krieger zu sein war selbstverständlich und gehörte zum Beruf des Herrschers. Diese Berufung gab Wilhelm im gleichen Jahr die Gelegenheit, in die Machtkämpfe im benachbarten Anjou einzugreifen und damit seine Position im eigenen Land weiter zu festigen

Nur 150 Kilometer nördlich der Normandie, auf der anderen Seite des Ärmelkanals, war das angelsächsische England dagegen eine ganz andere Welt. In der Mitte des 11. Jahrhunderts herrschte dort König Eduard, wegen seiner Frömmigkeit Eduard der Bekenner genannt. Mütterlicherseits mit der normannischen Herzogsfamilie verwandt, hatte er den größten Teil seiner Jugend und seine frühen Mannesjahre, während Knut der Große in England herrschte, im Exil am normannischen Hof verbracht. Neun Jahre nach seiner Thronbesteigung in England hatte er 1051 Herzog Wilhelm zum Nachfolger bestimmt, der diesen Anspruch bei Eduards Tod im Jahre 1066 durchsetzen wollte.

Er war nicht der einzige Thronbewerber. König Harald Hardrada von Norwegen, ein berühmter Wikingerführer seiner Zeit, suchte die von König Knut (1016-1035) Anfang des Jahrhunderts begründete skandinavische Herrschaft über England zu erneuern. In England wollte Harald Godwinson, Graf von East Anglia, Wessex und Kent und ein einflußreicher Mann im Lande, das höchste Amt erringen, unter Hinweis auf ein Vermächtnis, das Eduard ihm angeblich auf dem Totenbett gemacht hatte. Er wurde dabei vom Königlichen Rat unterstützt, dem sogenannten witan. Harald hatte den Vorteil, daß er bei Eduards Tod in allernächster Nähe weilte. Kurzerhand ließ er sich in der gerade geweihten Londoner Westminster-Abtei als Harald II. zum König von England krönen, nur wenige Stunden nachdem der verstorbene König dort beigesetzt worden war.

Haralds Vorgehen erzürnte Wilhelm besonders wegen eines Vorfalls zwei Jahre zuvor: Harald war damals am normannischen Hof erschienen und hatte Wilhelms Anspruch auf den Thron mit einem Schwur auf die heiligen Reliquien bekräftigt. über diesen Besuch ist seitdem viel diskutiert worden: Normannischen Quellen zufolge kam Harald in königlichem Auftrag, wahrend Haralds Anhänger geltend machten, er sei nur als Schiffbrüchiger in die Normandie gelangt und dort zu diesem Schwur genötigt worden. Wilhelm jedenfalls nutzte die Geschichte von Haralds Meineid zu seinem Vorteil aus, um sich die päpstliche Unterstützung für seinen Thronanspruch zu sichern. Der Segen Papst Alexanders II. und die dreigezackte Petersfahne verliehen seiner Sache die Aura eines heiligen Krieges. Aus allen Fürstentümern Nordfrankreichs drängten Ritter als Freiwillige in die Normandie, um seine Streitkräfte zu verstärken.

Innerhalb weniger Monate gelang es Wilhelm, die Normannen und die fremden Hilfstruppen zu einer disziplinierten Einheit zusammenzuschweißen. Er sorgte dafür, daß die neue Armee für den langen Feldzug ordentlich untergebracht, ausgerüstet und mit Proviant versehen wurde. Zur gleichen Zeit ließ er im ganzen Herzogtum Bäume fällen und in die Häfen der Normandie schaffen. Dort wurden mehrere hundert der 15 Meter langen, offenen Boote für die Kanalüberquerung des großen Heeres und der vielen tausend Pferde gebaut. Anfang August 1066 war alles fertig, und die Flotte versammelte sich am Mündungsgebiet der Dives, 20 Kilometer nordöstlich von Caen und etwa 150 Kilometer von der Küste von Sussex entfernt.

Im selben Jahr schon hatte ein böses Omen die englische Bevölkerung in Unruhe versetzt, als in sieben aufeinanderfolgenden Nächten ein heller Stern eine feurige Spur am Himmel zog. Heute hätte man ihn wohl als den Halleyschen Kometen erkannt, aber im Jahre 1066 hielt man ihn für ein Zeichen nahenden Unheils.

Es bedurfte jedoch keines Kometen, um Harald auf die drohende Invasion aufmerksam zu machen. Zwischen England und Frankreich bestand regelmäßiger Reiseverkehr, und zurückkehrende Frankreichreisende hatten ihm zweifellos von den Vorbereitungen in den normannischen Häfen erzählt. Daraufhin stellte er das größte Heer auf, das England je gesehen hatte. Es bestand vor allem aus zwei verschiedenen Kategorien von Kriegern: seinen Dienstleuten, einer Elite aus Berufssoldaten, wozu die Gefolgsleute seines eigenen Hofes als auch die der Grafen und anderer mächtiger Lords gehörten und der fyrd, einem Heerbann aus freien Männern, die in Zeiten der Gefahr einberufen werden konnten. Seine Flotte bestand wohl hauptsächlich aus beschlagnahmten Handelsschiffen, die je nach den strategischen Erfordernissen Truppen beförderten. Zu jener Zeit waren in Westeuropa größere Seeschlachten praktisch unbekannt, zu Kämpfen kam es höchstens zwischen Galeeren in den geschützten Gewässern des Mittelmeers. Die Schiffe waren mit ihren schwerfälligen Rahsegeln auf günstige Winde angewiesen; für zwei feindliche Flotten war es schwierig aus entgegengesetzten Richtungen zum Kampf aufeinander zuzufahren.

Fast den ganzen Juli und August über hielt Harald seine Streitkräfte auf Gefechtsstationen entlang der englischen Südküste und kommandierte die Flotte von der Insel Wight aus. Mitte August waren beide Heere voll gefechtsbereit, aber Wilhelms Männer mußten tatenlos auf den für die Kanalüberquerung günstigen Südwind warten. In gewisser Hinsicht entschieden die ungewöhnlich launischen Winde jenes Sommers das Schicksal des angelsächsischen Englands.

Anfang September hatte Harald nicht mehr genügend Proviant, um seinen Heerbann ständig unter Waffen zu halten. Er entließ die Männer ,damit sie die Ernte einbringen konnten, bevor das Getreide verfaulte. Er selber kehrte mit seinen Dienstleuten nach London zurück .Er ließ die Flotte zur Überholung die Küste entlang in die Themse einlaufen, doch viele zerschellten unterwegs im Sturm.

Das für die Jahreszeit ungewöhnlich schlechte Wetter machte auch der normannischen Flotte zu schaffen. Kurz nach Haralds Aufbruch lockte ein kurzzeitiger Südwind ihre Schiffe aus der Dives-Mündung auf See. Die Historiker sind sich über das beabsichtigte Ziel nicht einig: Manche glauben, daß die Boote nach England wollten, andere meinen, daß Wilhelm die Schiffe nur die Küste aufwärts zu einem für die Invasion günstigen Standort verlegen wollte. Jedenfalls trieben die nach Westen umspringenden Winde sie den Ärmelkanal hinauf bis zur Mündung der Somme. Die Entfernung zur englischen Küste verringerte sich dadurch von 150 auf 90 Kilometer. Im Verlauf des Unternehmens verloren die Normannen allerdings eine ganze Anzahl von Schiffen.

Etwa zu dieser Zeit wurde Harald gemeldet, daß sein zweiter Gegner, König Harald Hardrada, mit einer riesigen Invasionsstreitmacht 350 Kilometer weiter im Nordosten Englands gelandet war und die alte Stadt Scarborough bis auf die Grundmauern niedergebrannt hatte. Begünstigt durch meist aus Norden wehende Winde, die die Normannen an der französischen Küste festgehalten hatten, waren die Norweger mit mehr als 200 Langschiffen und etwa 1800 Mann über die Nordsee gekommen. Sie verwüsteten jetzt das Land und rückten rasch auf York vor, der Hauptstadt von Northumbria.

König Harald reagierte schnell. Er mobilisierte sofort seine Dienstleute und rief alle wehrhaften Männer Südenglands zusammen. Etwa am 18. September begann dann der lange Marsch nach Norden. Unterwegs verstärkte er sein Heer mit den Heeren seiner Brüder Cryth und Leofwine aus den östlichen Grafschaften. Er trieb das Heer energisch vorwärts; obgleich er York nicht retten konnte, kam er schneller an, als die Norweger erwartet hatten. Ihm kam der Überraschungseffekt zugute, als er am 25. September ihr Lager bei Stamford Bridge angriff, 12 Kilometer nordöstlich von York. Die Schlacht dauerte vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung; am Ende des Tages jedoch hatten die Engländer einen überwältigenden Sieg über die Norweger errungen, und König Harald Hardrada war gefallen.

Nachdem sie geschworen hatten, England nie wieder anzugreifen, erlaubte Harald den wenigen norwegischen Überlebenden, mit den ihnen verbliebenen 34 Schiffen nach Hause zurückzukehren. Eine Ironie des Schicksals war es, daß; ihre Heimreise mühelos verlief, denn sobald sie ausgelaufen waren, wehte - zum ersten Mal seit zwei Monaten ~ ein frischer Südwind und blähte die Segel.

Auf diesen Wind hatte Wilhelms Flotte gewartet. Harald blieb wenig Zeit, den Sieg von Stamford Bridge zu feiern. Anfang Oktober erreichte ihn die Nachricht, daß die Normannen in Pevensey gelandet waren und die Küste von Sussex verwüsteten. Ohne der kampfmüden und geschwächten Truppe Ruhe zu gönnen, führte Harald sie in Gewaltmärschen nach London, wo er Verstärkungen zusammenzog, ehe er das Heer weiter nach Süden hetzte. Er erreichte Sussex am Abend des 13. Oktober, nachdem er mit seinem Heer 700 Kilometer in weniger als einem Monat zurückgelegt hatte.

Als am folgenden Morgen die Trompeter zur Schlacht bliesen, standen sich die beiden Heere auf dem Schlachtfeld - etwa 10 Kilometer landeinwärts von Hastings -in 200 Meter Entfernung und lediglich durch ein enges Tal getrennt gegenüber. König Haralds Truppen hielten das höhergelegene Gebiet besetzt und hatten sich in einer etwa 600 Meter langen Verteidigungslinie auf der Kuppe des Hügels aufgestellt. Herzog Wilhelms Männer standen in drei Gruppen am Fuße der Erhebung - links eine vornehmlich bretonische Streitmacht mit Graf Alan von der Bretagne, in der Mitte der Front die Normannen unter Herzog Wilhelm, und am rechten Flügel französische, flämische und andere Söldner.

Die beiden Heere waren einander ebenbürtig. Auf beiden Seiten standen schätzungsweise 7000 Krieger. Die angelsächsischen Dienstleute wie die normannischen Ritter - eine etwa 2000 Mann starke Elitetruppe - trugen knielange Kettenpanzer und längliche, unten spitz zulaufende Schilde. Beide Heere wurden von Bogenschützen im Lederwams begleitet, bei den Normannen allerdings in viel größerer Zahl; die Fussoldaten hatten ähnliche Schwerter, Speere und Dolche. Die angelsächsischen Dienstleute waren außerdem mit einer gefährlichen Waffe ausgerüstet: der 1,50 Meter langen, zweischneidigen Streitaxt, mit der man Mann und Pferd tödlich treffen konnte.

Anders als die Angelsachsen die ausschließlich zu Fuß kämpften, zogen die normannischen Ritter zu Pferd in die Schlacht - doch der Vorteil größerer Beweglichkeit wurde während des Kampfes durch das schwierige Gelände wiederaufgehoben - ein sumpfiges Tal mit ansteigenden Hängen, das die Wucht des Angriffs stark minderte. Sonst unterschieden sich die Krieger der beiden Heere vor allem durch ihr Aussehen. Die Angelsachsen waren langhaarig und oft schnurrbärtig, wahrend die Normannen das Haar kurz geschnitten trugen, so daß man sie in Sussex zunächst für ein Heer von Mönchen hielt.

König Harald hatte eine ausgezeichnete Verteidigungsstellung gewählt, ganz nach der altenglischen Militärtaktik, nach der man den Feind herankommen ließ und dann aus dem Stand kämpfte. Ein entscheidender Fehler war wohl, daß er sich so eilig auf die Schlacht einließ, während seine Männer noch müde von den Eilmärschen waren. Sein Bruder Gryth und andere Berater hatten ihm empfohlen, das Land nördlich von Hastings zu verwüsten und so den Eindringlingen den Nachschub abzuschneiden. Gleichzeitig würde er Zeit gewinnen, um sein Heer durch den nördlichen Heerbann der Grafen Edwin und Morcar sowie durch Truppen aus Westengland zu verstärken. Sollte Wilhelm unterdessen angreifen, könnten die Angelsachsen, mit dem Gelände genügend vertraut, aus dem Hinterhalt den Gegner nach Partisanenart überfallen. Auf heimischem Boden, in einem Land mit einer Bevölkerung von ungefähr 1,5 Millionen, könnten sie nur stärker werden, während die Normannen auf feindlichem Boden mit der Zeit geschwächt würden.

Herzog Wilhelm setzte jedoch darauf, daß König Harald rasch die Entscheidungsschlacht suchen würde, und er sollte recht behalten. Harald lehnte es ab, ein Heer nicht unverzüglich anzugreifen, das rücksichtslos die Grafschaft Wessex verwüstet hatte. Vielleicht glaubte er auch, daß er das beherzte Manöver wiederholen könnte, das ihm bei Stamford Bridge gelungen war - schneller Marsch und Überraschungsangriff, bevor der Feind völlig kampfbereit war. Statt dessen traf Harald am frühen Morgen des 14. Oktober auf die Normannen, die von ihrer berittenen Aufklärung schon alarmiert worden waren und in voller Stärke gegen ihn vorrückten.

Harald griff daraufhin auf eine erprobte angelsächsische Taktik zurück. In dem höhergelegenen Gelände bildete sein Heer einen Schildwall, eine menschliche Mauer aus neun oder zehn Reihen, wobei sich in der vordersten Reihe die gepanzerten Dienstleute am dichtesten um den König in der Mitte scharten. Im Tal waren Herzog Wilhelms Streitkräfte so aufgestellt, daß Bogenschützen Fußsoldaten und schließlich die Schwadronen der Ritter zu Pferde nacheinander in schneller Folge angreifen konnten.

Wilhelms erste Angriffswelle schlug fehl. Seine Bogenschützen ließen einen wahren Geschoßhagel niederprasseln, mußten aber erleben, wie ihre Pfeile an dem Wall aus Schilden abprallten. Dagegen hagelten mit beachtlicher Wirkung englische Speere, Streitäxte und Steinhämmer auf das normannische Fußvolk, das vorrückte, als die Bogenschützen zurückgingen. Nach einem wilden Handgemenge Mann gegen Mann machten die Fußsoldaten schließlich der Reiterei Platz, die durch die in die englischen Linien geschlagenen Breschen stürmen sollten. Doch es gab keine Breschen; der Schildwall hatte standgehalten.

Mitten im Schlachtgetümmel verbreitete sich in den französischen Reihen das Gerücht, der Herzog sei gefallen. Entmutigt wichen die Bretonen auf Herzog Wilhelms linker Flanke zurück und den Hügel hinab. Siegesgewiß verließ der gegenüberstehende angelsächsische Heerbann sogleich die Gefechtsaufstellung, um ihnen nachzusetzen. Dadurch wurde die westliche Flanke der angelsächsischen Linie geschwächt, und die Männer setzten sich dem Gegenangriff im Tal aus.

Die Schlacht war an ihrem entscheidenden Punkt angelangt; vor allem Herzog Wilhelm selbst war es zu danken, daß der Sieg nicht verlorenging. Um Panik in den anderen Einheiten zu verhindern, ritt er in das dichteste Kampfgetümmel, sammelte das normannische Fußvolk in der Mitte und befahl den Rittern, nach links zu schwenken und die Verfolger abzuschneiden. Als die Ordnung wiederhergestellt war, nahm er seine alte Taktik wieder auf und ließ mehrmals in schneller Folge Bogenschützen, Fußsoldaten und Reiterei angreifen.

Stundenlang tobte der Kampf, ohne daß die eine oder andere Seite einen bemerkenswerten Vorteil erringen konnte; vor allem hielt der Schildwall. Dann besann sich Wilhelm auf den Irrtum des englischen Heerbanns und ließ seine Ritter einen Rückzug vortäuschen - eine auf dem Festland übliche Taktik, die den Angelsachsen offenbar aber unbekannt war. Wiederum stürmten die undisziplinierten Bauernkrieger den Hügel hinab, um die Normannen zu verfolgen. Das war ein verhängnisvoller Fehler; auf einen entsprechenden Befehl hin schwenkte die normannische Reiterei herum und metzelte die Verfolger nieder. Das angelsächsische Heer erlitt empfindliche Verluste, und seine Verteidigungsfront war beträchtlich geschwächt.

Wenig später, als der Abend schon hereinbrach, begann Wilhelm einen Großangriff mit allen drei Waffengattungen. Späteren Berichten zufolge befahl er den Bogenschützen, in spitzem Winke! zu schießen, so daß die Pfeile von oben auftrafen, statt von vorn an den Schilden abzuprallen. Endlich wurde der Schildwall bis hin zum königlichen Standort in der Mitte durchbrochen. Harald wurde von einem Pfeil oberhalb des rechten Auges getroffen und dann von normannischen Rittern niedergemetzelt. Mit dem Tode des Königs brach die englische Verteidigung zusammen; die Reste des Heeres zerstreuten sich bei zunehmender Dämmerung in der verwüsteten Landschaft, verfolgt von der normannischen Reiterei. Auf dem Schlachtfeld ließen sie die Blüte des Adels und der Jugend ihres Königreichs zurück; hier gründete später der Eroberer Battle Abbey, eine Benediktinerabtei, als Buße für das Gemetzel dieser Schlacht. Jedenfalls war der entscheidende Kampf gewonnen, nach dem Wilhelm gestrebt hatte.

Eine Woche nach diesem Sieg hatte Wilhelm bereits alle wichtigen Häfen Südostenglands in seiner Hand und konnte Verstärkung aus der Normandie herbeiholen. Dann machte er sich daran, London einzuschließen, eine zu große und bedrohliche Feste allerdings, um sie im Handstreich zu nehmen. Seine Strategie war auch hier erfolgreich; Ende Dezember hörten die Kämpfe im Südosten auf; mehrere hohe englische Adlige - als wichtigste unter ihnen die Grafen Edwin und Morcar aus dem Norden und die beiden Erzbischöfe Stigand von Canterbury und Eldred von York - boten Herzog Wilhelm in aller Form die Krone an.

Diese Geste hatte jedoch in einem Land, in welchem die Bindung an die regionalen Herrscher eine so große Rolle spielte, nur begrenzten Wert. Es sollten weitere fünf Jahre mit blutigen Kämpfen und Aufständen vergehen, ehe die normannische Eroberung abgeschlossen war. Die schwerste Bedrohung für Wilhelms Herrschaft ergab sich im Sommer 1069, als dänische Eindringlinge zusammen mit der überwiegend skandinavischen Bevölkerung im Nordosten die Normannen bei York empfindlich schlugen. Als die Dänen mit der Beute zu ihren Langschiffen zurückkehrten, nahm Wilhelm fürchterliche Rache an den zurückgelassenen Verbündeten. In den zwei Monaten bis Weihnachten 1069 verwüsteten seine Soldaten das Land zwischen York und Durham, töteten Rebellen und Zivilbevölkerung gleichermaßen und verbrannten ihre Ernte und Häuser. 50 Jahre später beschrieb der Bischof von Durham die Hungersnot, Pest und Greuel, die Wilhelms Gemetzel folgten und fast die ganze Bevölkerung der Gegend auslöschten. So schuf Wilhelm im Norden ein Ödland, das niemals wieder imstande sein sollte, eine Rebellion gegen ihn anzuzetteln.

Der letzte Widerstand kam aus dem Gebiet südlich des Humber, wo Hereward mit dem Beinamen "der Wache", ein Landbesitzer aus Lincolnshire, die letzte ernsthafte Herausforderung für Wilhelms Herrschaft darstellte. Unterstützt von dänischen Eindringlingen, plünderten er und seine Anhänger im Jahre 1070 die Stadt Peterborough. Doch wieder gaben sich die Dänen mit der Beute zufrieden und ließen die Verbündeten allein zurück Herewards geschwächte Streitmacht zog sich in ein befestigtes Lager in Isle of Ely, tief im sumpfigen Marschland von Cambridgeshire, zurück und hielt fast ein Jahr lang dort aus. Als das Rebellenlager schließlich eingenommen wurde, konnte Hereward entkommen; er setzte den Kampf als Geächteter fort, dessen Ruhm bis heute in England weiterlebt.

Im Jahre 1072 konnte die Nordgrenze durch einen Einfall nach Schottland gesichert werden; der normannische Sieg war damit vollkommen. Danach verbrachte Wilhelm den größten Teil seiner Regierungszeit in der heimatlichen Normandie und überließ die Verwaltung Englands seinen Regenten, meistens Geistlichen; einer von ihnen war Lanfranc, ein persönlicher Freund Wilhelms und früherer Mönch in der Abtei von Bec, der Stigand als Erzbischof von Canterbury ablöste. Doch dem Eroberer war wenig Ruhe vergönnt. 1075 mußte er nach England zurückkehren, nachdem die Grafen von Hereford und Norfolk einen Staatsstreich versucht hatten, und erneut 1085, als England zum letzten Mal von Dänen bedroht wurde. Ansonsten galt es, die Grenzen der Normandie gegen die Angriffe feindlicher Nachbarn zu verteidigen. Außerdem mußte er sich mit einer Reihe von Aufständen befassen, die von seinem ältesten Sohn Robert angeführt wurden; dieser nahm es seinem Vater sehr übel, daß er ihn nicht aktiv an der ihm 1066 nominell übertragenen Verwaltung der Normandie teilhaben ließ. Angesichts dieser Bedrohung für das Herzogtum sah Wilhelm sich gezwungen, Einheiten des englischen Heerbanns zur Verstärkung über den Kanal zu holen, die Seite an Seite mit den französischen Baronen und Rittern zu kämpfen hatten.

Im Jahre 1085 waren König Wilhelms Mittel so knapp geworden, daß nur noch eine Steuerreform abhelfen konnte. Um die wahre Militärkraft und den besteuerungsfähigen Wert des Königreichs festzusetzen, ließ er ein Grundbuch mit einer Bestandsaufnahme der Wirtschaftskraft des Landes erstellen, in dem die Herrschaftsgebiete der Lords, der Lehnsbesitz und die Vermögenswerte auf jedem Landgut und auch im kleinsten Dorf verzeichnet wurden. Es war ein nationales Unterfangen von solchem Ausmaß, daß es noch Jahrhunderte später als einmalig galt; es war so detailliert, daß der König genau wußte, wieviel Steuern er in jedem Bezirk erheben und wieviel Männer er tatsächlich zum Kriegsdienst einberufen konnte. Angesichts der düsteren steuerlichen Folgen dieses Grundbuches verglich man es darum in England mit dem Jüngsten Gericht. Die beiden lateinischen Bande des Reichsgrundbuches, des "Liber indiciarius Angliae" trugen bald den Namen "Buch des Jüngsten Gerichts" ("Domesday Book").

Das "Domesday Book" ist zugleich ein Beweis dafür, wie schnell und gründlich Wilhelm die alte englische Ordnung durch das normannische System ersetzt hatte. Ursprünglich war nur das Land jener Adligen beschlagnahmt worden, die in Hastings gegen Wilhelm gekämpft hatten. Doch verschiedene Aufstände und steigende Forderungen der normannischen Barone hatten ihn dazu veranlaßt, die Beschlagnahmungen rasch auszuweiten. Wie das Grundbuch zeigt, waren im Jahre 1086 nur noch zwei große angelsächsische Landbesitzer übrig - Thurkill von Arden und Colswein von Lincoln - und nur etwa acht Prozent des Landes befand sich noch unter englischer Herrschaft. Selbst die Kirche hatte gelitten; nur eins von 14 Bistümern war in angelsächsischer Hand, und es gab nur noch drei einheimische Äbte.

Die normannische Eroberung hatte die englische Gesellschaft vollkommen verändert, indem sie die alte Adelsschicht auslöschte und eine neue und fremde herrschende Klasse schuf. Die mindestens 1,5 Millionen zählende englische Bevölkerung war einer kleinen Minderheit von rund 10000 Normannen, Franzosen und Flamen unterworfen worden, die sich dort seit 1066 angesiedelt hatten.

Das "Domesday Book' wurde erst 1087 vollendet. Sehr wahrscheinlich hat Wilhelm es als Gesamtwerk nie gesehen. Zu dieser Zeit führte er einen Feldzug im Vexin, einem Gebiet um Seine und Oise, das er dem fränkischen König streitig machte. Im Juli ritt der nunmehr 60jährige erste normannische König von England an der Spitze seiner Truppen in die brennende Stadt Mantes-sur-Seine ein. Plötzlich stolperte sein Pferd über glühendes Holz und Wilhelm wurde gegen den Sattelknopf geschleudert. Er erlitt Verletzungen, an denen er fünf oder sechs Wochen später in Rouen starb. Vor seinem Tode bestätigte er seinen aufsässigen Sohn Robert als Erben des Herzogtums Normandie; England vermachte er Wilhelm, dem zweiten der noch lebenden Söhne.

Die zwei Jahrzehnte der Herrschaft Wilhelms waren für das englische Volk sicherlich schreckliche Zeiten gewesen; es hatte erleben müssen, wie man ihm das Land wegnahm und fremde Unterdrücker alle angestammten Lebensformen veränderten. Aufs Ganze gesehen brachten die Normannen den Angelsachsen aber viel. Die englische Sprache wurde durch das Französische des normannischen Adels und das Latein der Geistlichen und Beamten bereichert. Auch waren die Normannen große Baumeister, und ihre Bauten setzten neue Maßstäbe für die englische Architektur. Der um 1078 in London errichtete White Tower war Vorbild für ähnliche steinerne Bergfriede, die das umliegende Land beherrschten und die Holzbauten der besiegten angelsächsischen Herren ersetzten. Für die vielen Klosterbauten wurde unter Wilhelms Herrschaft ebenfalls überwiegend Stein verwendet, ebenso für die große Kathedrale von Durham, dem Glanzstück normannisch-romanischer Baukunst, mit deren Bau 1093, in der Regierungszeit von Wilhelm II., begannen wurde.

Vor allem brachten die Normannen dem ständig von kleineren Aufständen und Wikinger-Einfällen bedrohten Land neue Einheit und Sicherheit. Die großen Grafschaften, vorher praktisch unabhängige Staaten im Staat, wurden aufgelöst; Wilhelm sorgte dafür, daß er in den meisten Grafschaften selber der größte Landbesitzer wurde. Außerdem stärkte er die Zentralgewalt, indem er jede weltliche Lehnsvergabe mit Kriegsdienst verknüpfte: Als Hauptleistung mußten sich die Vasallen verpflichten, den König mit einer bestimmten Anzahl voll ausgerüsteter und ausgebildeter Ritter zu unterstützen; außerdem mußten sie bestimmte Abgaben entrichten und an den Versammlungen bei Hofe und im Rate teilnehmen.

Im wesentlichen war es das gleiche Feudalsystem wie in der Normandie; in England jedoch konnte Wilhelm mit seiner straffen Organisation noch viel weiter gehen. 1086 mußten alle Landbesitzer, das heißt nicht nur die Kronvasallen, sondern auch die von den Rittern abhängigen Untervasallen, mit dem "Schwur von Salisbury" dem König den Lehnseid leisten. Damit hatte die Treuepflicht gegenüber dem König Vorrang vor der gegenüber dem unmittelbaren Lehnsherrn. So wurde die Macht der Monarchie gestärkt, und das Land entwickelte sich aufgrund des fortschrittlichen Feudalismus zum einheitlichsten und vielleicht auch stärksten Staat der lateinischen Ch**stenheit.

Während England sich auf seine neuen Herrscher einstellte, errichteten andere Normannen im Süden Europas weitere Fürstentümer. Schon Jahrzehnte vor der Schlacht von Hastings waren normannische Ritterheere In Süditalien eingefallen, 1600 Kilometer von der Heimat entfernt. Sie wurden eher von persönlichem Ehrgeiz und der Hoffnung auf Land getrieben als von politischen Plänen. In der Folgezeit waren diese Normannenstaaten die Ursache für die immer größere Kluft zwischen den beiden Ch**stlichen Kirchen in Rom und Konstantinopel.

Zu Beginn des Jahrhunderts war Italien ein in mehrere Herrschaftsgebiete zersplittertes Land. Der Norden stand unter der Oberherrschaft der deutschen Kaiser; in der Mitte, das heißt von Rom bis Ravenna, erstreckte sich der Kirchenstaat. Süditalien dagegen teilten sich einander feindliche Langobardenfürsten, zum Beispiel die Fürstentümer Capua, Salerno und Benevent. Außerdem herrschten in den Provinzen Apulien und Kalabrien die byzantinischen Kaiser. Jenseits der Straße von Messina war Sizilien seit dem 9. Jahrhundert in arabisch-islamischer Hand. Diese südlichen Länder schienen sich für kriegerische Abenteurer geradezu anzubieten.

Die Berichte über die Verwicklung der Normannen in die Machtkämpfe in Süditalien sind verworren. Der glaubwürdigste nennt das Jahr 1016 als Beginn dieser Geschichte, als 40 normannische Pilger auf der Rückkehr aus dem Heiligen Land in Apulien haltmachten, um den berühmten Schrein des Erzengels Michael am Monte Gargano zu besuchen. Dort wurden sie von dem langobardischen Edelmann Melo für einen apulischen Aufstand gegen die byzantinische Herrschaft angeworben. Melo suchte Söldner und stellte denen, die für die langobardische Herrschaft im Süden kämpfen wollten, die Reichtümer der byzantinischen Städte in Aussicht.

Einige der Pilger konnten wohl gewonnen werden; tatsächlich war ab 1017 Süditalien das Ziel von immer mehr normannischen Rittern und Abenteurern. Nur sich selbst verantwortlich, verdingten sie sich aufs Geratewohl, so daß sich manchmal Normannen als Feinde auf dem Schlachtfeld gegenüberstanden.

Typisch für den Opportunismus jener Zeit ist der Aufstieg Ranulfs, eines normannischen Söldners, der sich bei der Verteidigung des Herzogtums Neapel gegen die langobardische Invasion des Fürsten Pandulf III. von Capua auszeichnete. Im Jahre 1030 verlieh ihm Herzog Sergius von Neapel ein eigenes Lehen - die Stadt und das Territorium von Aversa. Der Herzog muß dies für einen klugen Schachzug gehalten haben: Aversa lag genau zwischen Neapel und Capua und konnte so als Barriere gegen neue Angriffe des langobardischen Fürsten dienen. Rainulf benutzte das Lehen jedoch nur, um sich eine persönliche Machtstellung aufzubauen. Durch kluge Heiratspolitik verbündete er sich mit dem früheren Kriegsgegner, Pandulf III.. Später wechselte er die Seiten erneut und erhielt für seinen Anteil an Pandulfs Sturz den Grafentitel.

Rainulf war einer der ersten Normannen, die in Italien festen Fuß fasten; bald folgten andere seinem Beispiel, allen voran die drei Söhne eines normannischen Ritters, Tankred de Hauteville. Der älteste, Wilhelm, zog etwa 1035 über die Alpen nach Italien. Zuerst diente er Rainulf, unterstützte aber später an der Spitze von mehreren hundert normannischen Söldnern den byzantinischen Kaiser Michael IV. bei dem Versuch, Sizilien von den Sarazenen zurückzuerobern. Der Feldzug mißlang; Wilhelm jedoch errang großen Ruhm als Kriege,. Während der Belagerung der alten Stadt Syrakus griff er den gefürchteten Kommandanten der Verteidiger an, warf ihn vom Pferd und tötete ihn. Für diese Tat bekam er den Beinamen Bras-de-Fer ("Eisenarm"). Wieder auf dem italienischen Festland, kämpfte er für die Langobarden gegen die byzantinischen Griechen; 1042 wurde ihm der Titel Graf von Apulien verliehen. So war er innerhalb von sieben Jahren von einem unbekannten Mann zu Ansehen und militärischer Macht gelangt. Erstaunlicherweise wurde er jedoch noch durch seine beiden jüngeren Halbbrüder, Robert und Roger, übertroffen.

Robert de Hauteville kam im Herbst 1046 nach Capua. Nach dem Bericht von Anna Komnena, der Tochter des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos, war er von beeindruckender Gestalt, groß, breitschultrig und flachsblond; mit seinen 30 Jahren dürstete er nach Taten, Erfolgen und Ruhm. Da er keine Unterstützung von seinem Bruder Wilhelm erhielt, handelte er auf eigene Faust und stellte in Kalabrien ein eigenes Heer zusammen. Er plünderte die byzantinischen Siedlungen und überwand jeden Widerstand so erfolgreich, daß er in der ganzen Provinz bald als Robert Guiscard ("Robert der Listige") bekannt wurde.

Unterdessen war Wilhelm Eisenarm kinderlos gestorben, und Apulien wurde wie das restliche Süditalien erneut in sich bekriegenden Parteien gespalten. In dieser Situation wandte sich Papst Leo IX. an den byzantinischen Kaiser Konstantin IX. Monomachos; in seinem Schreiben verdammte er die Normannen, die noch G*ttloser seien als die Heiden und sich gegen die Kirche G*ttes stellten, wobei Ch**sten unter neuartigen und scheußlichen Qualen zu Tode kamen und auch Frauen, Kinder und Alte nicht verschont würden. Dem Brief folgte im Jahre 1053 ein Bündnis; die päpstlichen und byzantinischen Streitkräfte sollten sich bei Siponto in Nordapulien vereinigen und die Normannen gemeinsam angreifen. Tatsächlich jedoch erreichte das Heer des Papstes Siponto nicht. Am 17. Juni traf es auf einer Hochebene in den Apenninen nahe der Stadt Civitate auf eine normannische Streitmacht unter der Führung von Robert Guiscard und Richard, Graf von Aversa. Angesichts der gemeinsamen Bedrohung hatten sich die Normannen zum ersten und letzten Mal verbündet. Damit zeigten diese leidenschaftlichen Kämpfer für die Kirche, daß sie sogar bereit waren, sich gegen den Papst, Statthalter Ch**sti, zu stellen.

Von den Festungswällen des päpstlichen Palastes von Civitate aus wurde Papst Leo Zeuge des mörderischen Angriffs der normannischen Ritter und der Niederlage seiner Männer. Um sein Leben bangend, suchte er in der nahen Stadt Benevent Zuflucht; man gewährte ihm jedoch kein Asyl, sondern übergab ihn den Siegern. Die Normannen behandelten ihn jedoch nicht als Feind, sondern als ihr geistiges Oberhaupt; sie fielen auf die Knie, küßten seine Sandalen und baten ihn um Vergebung für ihre Taten. Allerdings hielten sie ihn weiter in der Stadt fest, bis er nach neun Monaten schließlich ihre Herrschaft anerkennen mußte. Fünf Wochen später starb Leo als gebrochener Mann.

Die Schlacht von Civitate war für die Normannen Süditaliens der Wendepunkt. Danach stellte sich ihnen keine vereinte Opposition mehr entgegen. Sie nutzten den Sieg zur Ausdehnung ihres Herrschaftsbereichs, doch bei der Feindseligkeit der einheimischen Bevölkerung erwies sich die Festigung der eroberten Gebiete als weitaus schwierigere Aufgabe.

Robert Guiscard war in seiner Stellung am stärksten exponiert. Schon Herrscher über den größten Teil Kalabriens, erbte er 1057 den Titel eines Grafen von Apulien und war bald der mächtigste Herr südlich des Kirchenstaates. Doch seine militärischen Kräfte reichten kaum aus, sein wildes und gebirgiges Land mit seinen unversöhnlichen, überwiegend griechischen Bewohnern unter Kontrolle zu halten. Als das normannische Kalabrien 1058 wegen drückender Steuerlasten und einer drohenden Hungersnot revoltierte, wandte sich Robert in seiner Verzweiflung an seinen jüngeren Bruder Roger. Mit 28 Jahren war Roger, der jüngste der Tankred-Söhne, nach Italien gekommen; offenbar besaß auch er große Ausstrahlung. Ein Biograph beschrieb ihn bewundernd: "Er war ein stattlicher junger Mann, groß und gut gewachsen, sehr redegewandt, von fröhlichem, offenem Wesen, aber auch von abwägender Klugheit. Von Natur aus tapfer und mutig, wurde er von jugendlichem Ehrgeiz getrieben und suchte durch Geschenke und Gunstbeweise eine Anhängerschar um sich zu versammeln, die sich für die Vergrößerung seiner Macht einsetzte." Das gelang ihm so gut, daß er schon ein Jahr nach seiner Ankunft über ein so starkes Heer verfügte, daß er den Aufstand in Kalabrien niederschlagen konnte. Als Gegenleistung dafür verlangte er, daß Robert Guiscard ihm die Hälfte des unruhigen Gebietes sowie das übrige, noch byzantinische Kalabrien abtreten sollte.

Zu dieser Zeit beherrschten die Normannen fast ganz Süditalien. Im Westen hatte Richard von Aversa das Fürstentum Capua eingenommen, so daß nur noch einige klei nere Gebiete unter langobardischer Herrschaft standen; als einzige noch griechische Territorien blieben ein kleiner Teil Kalabriens und der stark befestigte Hafen Bari übrig, Hauptquartier des byzantinischen Heeres in Italien. Während die Macht der Normannen ständig wuchs, kam von einer ganz unerwarteten Seite neuer Anreiz für Eroberungen. Im Jahre 1059 begab sich Papst Nikolaus II. nach Süditalien, um den Normannen dort für ihre wertvolle Unterstützung bei der Papstwahl zu danken. Er bestätigte Richard als Fürsten von Capua und belehnte Robert Guiscard mit den Herzogtümern Apulien und Kalabrien. Völlig überraschend trug der Papst ihm noch ein drittes Lehen an, das Robert ebenfalls dankbar annahm: Sizilien, das er bis dahin nie betreten hatte und über das der Papst zu jener Zeit auch eigentlich keine Machtbefugnis hatte. Dafür leisteten die Normannen Papst Nikolaus und der römischen Kirche den Lehnseid.

Welche Überlegungen den Papst zu diesem Bündnis geführt hatten, liegt auf der Hand. Nach der Katastrophe von Civitate hatte man im Vatikan erkannt, daß die normannischen Siege über die orthodoxen Griechen, Untertanen des Patriarchen von Konstantinopel, sich zu Roms Vorteil auswirken konnten. Darüber hinaus betrachtete Papst Nikolaus wohlwollend Robert Guiscards Bestrebungen, Sizilien zu erobern und somit die Ch**stliche Herrschaft über die Insel wiederherzustellen.

Mit dem päpstlichen Segen ging Herzog Robert entschlossen ans Werk. Zusammen mit seinem Bruder Roger zog er ins Feld und nahm schon wenige Monate danach Reggio ein, die Hauptstadt des byzantinischen Kalabrien, dann Messina und den größten Teil Nordostsiziliens. Dann mußte er wegen eines Aufstandes in den griechischen Gebieten auf das italienische Festland zurückkehren und seinem Bruder den Feldzug in Sizilien überlassen. Um endlich den Unruhen beizukommen, wollte er ein für allemal die Macht der Griechen brechen und ihren für uneinnehmbar geltenden Hafen von Bari zerstören. Zu diesem Zweck schloß er die griechische Festung von der Landseite mit Truppen, seeseitig mit einer Barrikade aus zusammengeketteten Schiffen ein.

Mehr als zwei Jahre lang leistete Bari in der Hoffnung auf ein byzantinisches Entsatzheer Widerstand. Eine schließlich eintreffende byzantinische Flotte konnte jedoch die normannische Seeverteidigungslinie nicht durchbrechen, und neun der 20 byzantinischen Schiffe wurden versenkt. Ihrer letzen Hoffnung beraubt, ergaben sich die Einwohner endlich im April 1071. Im gleichen Jahr kehrte Robert nach Sizilien zurück, wo er gemeinsam mit Roger nach einem gleichzeitigen Angriff zu Lande und zu See die Hauptstadt Palermo einnahm.

Selbst diese Erfolge konnten den Ehrgeiz der Söhne Tankreds nicht befriedigen. Nach der Vertreibung der Byzantiner aus Italien erwog Robert sogar, Konstantinopel, die Hauptstadt von Byzanz, anzugreifen. 1081 überquerte er mit einem Heer die Adria und besiegte bei Durazzo, Hauptstadt der Provinz Illyrien, die byzantinische Streitmacht unter Kaiser Alexios I. Komnenos. Konstantinopel schien in greifbare Nähe gerückt; doch wieder einmal mußte Robert nach Apulien zurückkehren, um Aufstände der Griechen niederzuschlagen. Erst im Jahre 1085 setzte er den Feldzug nach Osten fort, wurde aber bald darauf im Alter von 70 Jahren das Opfer einer Fieberepidemie, wahrscheinlich Typhus, die in seinem Heer wütete.

Sein Bruder Roger setzte die Eroberung Siziliens fort; als Robert starb, belagerte er gerade Syrakus. In wenigen Jahren konnte er den letzten islamischen Widerstand brechen und sich zum alleinigen Herrscher der Insel machen. Anders als Robert zog er diplomatische Verhandlungen militärischen Auseinandersetzungen vor, eine Politik der Anpassung, die er auch als Graf von Sizilien fortsetzte. Roger war klar, daß in einem Staat mit mehreren Religionen Toleranz erforderlich war; er erkannte deshalb Arabisch als Amtssprache an, beließ viele moslemische Statthalter auf ihrem Posten und erlaubte ihnen, an ihren Gerichtshöfen islamisches Recht zu sprechen. Für seine Weisheit und staatsmännischen Fähigkeiten zollte man ihm weit und breit Anerkennung. Als er 1101 starb, zählte er zu den angesehensten Fürsten Europas; die Könige von Frankreich, Deutschland und Ungarn suchten sich durch Heirat mit seiner Familie zu verbinden. Er ist in die Geschichte als der ,,Große Graf" eingegangen, ein echter normannischer Krieger, der Unteritalien und Sizilien, dem Land der Römer, Griechen und Moslems, politische Stabilität und Wohlstand brachte.

Rogers tolerante Regierung ist um so bemerkenswerter, als seine Zeitgenossen in Europa gleichzeitig in die Kleinkriege des Ersten Kreuzzuges verwickelt waren. Auch in den Kreuzzügen zahlten Normannen zu den besten Kämpfern; keiner spielte eine wichtigere Rolle als ein weiterer Hauteville: Graf Bohemund, der älteste Sohn Robert Guiscards. Von gleicher imposanter Gestalt und Tapferkeit wie sein Vater, profilierte er sich schnell zu einem der Führer des Feldzuges; als sich Antiocheia 1098 nach siebenmonatiger Belagerung den Kreuzrittern ergab, wählte man Bohemund hier zum Herrscher. Dieses unabhängige normannische Fürstentum bestand dann etwa 170 Jahre lang.

So bauten sich die Normannen im Laufe des 11. Jahrhunderts erfolgreich Stück für Stück Reiche auf, die mehr von Familienbanden und kulturellen Bindungen als von einer gemeinsamen politischen Ordnung zusammengehalten wurden und zu denen so ungleiche Länder wie Britannien, die Küstengebiete des Mittelmeeres und die Levante gehörten. Eines zeichnete jedoch alle ihre Unternehmungen aus: die militärische Überlegenheit. Die Normannen waren die besten Soldaten ihrer Zeit; ihre Siege zählen zu den großen kriegerischen Leistungen der Geschichte.

Verschiedene Gründe hat man für ihre Vorherrschaft angeführt: ihre Reiterei, ihre Wehrburgen und ihre Belagerungsstrategien. Das normannische Ältestenerbrecht hatte außerdem ein Heer von besitzlosen jungen Söhnen hervorgebracht, die nach Land und Ruhm strebten. Entscheidend war zweifellos auch die Gabe der Normannen, sich fremden Kulturen anzupassen. Sie waren keine Erneuerer; fast alle normannischen Leistungen - Baukunst, Religion und sogar die Kriegstechnik - gehen auf französische, italienische oder angelsächsische Vorbilder zurück. Vielmehr lernten die Normannen von jeder Kultur, mit der sie in Berührung kamen und veränderten und verarbeiteten das Vorgefundene für ihre eigenen Zwecke.

Dabei veränderten sie zuweilen auch ursprüngliche Strukturen und schufen so aus dem unübersichtlichen Lehnswesen des 10. Jahrhunderts zentralisierte Feudalstaaten. So verschafften sie Wilhelms England und Rogers Sizilien eine gute und stabile Regierung zu einer Zeit, als in Europa Zersplitterung vorherrschte. Die Normannen erwiesen sich als große Eroberer und überzeugende Herrscher; weil sie aber kulturell mehr von den Eroberten übernahmen als sie ihnen gaben, war es ihr Schicksal, das Wesen Europas zu verändern, um dann als eigenständiges Volk unterzugehen.


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[Kein Betreff] - von Norman - 08.03.12005, 14:32
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Re: Die Normannen - von Peterbuild - 09.03.12009, 20:13

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