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Schach
#1
Schach nicht aus Ägypten, oder etwa doch?
Vor wenigen Tagen wurde hier behauptet, Schach stamme aus Ägypten. Kurz danach wurde laut "April, April!" gerufen. Doch ganz so klar, wie man heute vielfach glaubt, sind Herkunft und Verbreitungswege des Spiels auch wieder nicht. Zwar ist der Glaube an den Ursprung des Schachs in Indien heute weit verbreitet und wahrscheinlich, doch nicht ganz gewiss. Auch andere Länder wurden und werden von den Experten als Ursprungsland diskutiert, darunter: Ägypten. Und auch über seine Verbreitungswege herrscht Ungewissheit. Wie kam das Spiel nach Russland? Gerald Schendel berichtet über Hypothesen zur Entstehung des Schachspiels.

Das Schachspiel kommt aus Ägypten!?
Zur Entstehung des Schachspiels

April, April... kann ein gebildeter Mensch hierzu nur sagen. Gegen das tonnen-schwere Argument zahlreicher Lexika, wonach das Schachspiel aus Indien stamme, ist nichts auszurichten, oder?

Das vermeintlich so sichere Wissen über die Entstehung des Schachspiels muss immer wieder neu überprüft werden.

Nicht erst seit Jahrzehnten, sondern schon im 13. Jahrhundert stritt man sich in Europa über die Herkunft des Schachspiels. Einer frühen mittelalterlichen Sage zufolge hat der mythische Held Palamedes das Spiel während der Belagerung von Troja erfunden. Dieser Deutung widersprach schon Jacobus von Cessolis ausdrücklich; er meinte, als König Evilmerodach König von Babylon war, habe ein Meister namens Xerxes in Chaldäa das Spiel erfunden:


"Etlich die sprechent daz doch nit war ist, daz ez wurde funden vor Troy, wan daz spil kom uz Chaldea under die Kriechen do wart ez erst gemein. Darnach zuo Alexanders ziten des grozen do kam ez in Egiptenlant und darnach in daz lant gen suden. Also saget uns ein kriechischer meister, der heizet Diomedeus."

Die im Alten Testament erwähnte Gestalt des Evilmerodach wird ebenfalls genannt in Schedels Chronik von 1492 sowie 1561 in dem spanischen Schachbuch von Rui Lopez de Segura.

Der spanische Arzt und Schachhistoriker Ricardo Calvo (1943-2002) betonte in der kaum bekannten Publikation "Wo das Schachspiel nicht herkommt" (ohne Ort, Paginierung und Jahr - ca. 1998), dass erst der englische Orientalist Thomas Hyde 1694 die damals neue und heutzutage geläufige Auffassung entwickelte, dass das Schachspiel erstmalig in Indien entstanden sei. Diese Hypothese wurde dann erneut von dem französischen Mathematiker Fréret in der Sitzung der Académie Française vom 14. Juli 1714 vorgetragen. Chevalier de Jancourt benützte den Bericht Frérets in seinem Artikel über Schach in der Enzyklopädie von Diderot (1775) und gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde der behauptete (aber nicht bewiesene) Ursprung des Schachspiels in Indien fast überall akzeptiert. 1790 leitete der englische Indologe William Jones die Herkunft des Schachspiels aus einem indischen Kriegsspiel namens Tschaturanga ab.

Ende April 2002 berichtete das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL über das "Sandkastenspiel der Könige". Die Münchner Indologin und Kulturhistorikerin Renate Syed sei "absolut sicher, dass Schach in Indien entstanden ist und nicht in Persien oder China". Sie verfolgte den Weg des Spiels von Indien (wo es erstmals 630 nach Chr*stus in einer Königschronik erwähnte wurde) anhand historischer Quellen nach Persien.

Der weitere Gang der Ereignisse ist (scheinbar) bekannt. Persien wurde von den Arabern überrannt. "In den Satteltaschen der neuen Herrscher", so DER SPIEGEL, habe Schach dann seinen Siegeszug um die Welt angetreten. Nach der geläufigen Chronologie wurde das Schachspiel erstmals Mitte des 11. Jahrhunderts in europäischen Quellen erwähnt und im frühen 12. Jahrhundert endgültig populär.

Auf welche Weise aber ist das Schachspiel nach Russland gelangt? Russische Schachhistoriker glauben, dass das Spiel nicht aus dem Westen vermittelt wurde.

Der Schachhistoriker Helmut Faust (Coburg) beschrieb im Schach-Journal (1/2-92, S. 101; Edition Marco, Berlin, 1992) drei Wanderungswege des Schachspiels:

* der ausführlich dargestellte Weg über das Mittelmeer;
* der von der Schachgeschichtsschreibung vernachlässigte Weg über die Ostsee;
* der mögliche, damals nicht belegte Weg von Byzanz über das Schwarze Meer und aufwärts der Donau.

Im Juli des vergangenen Jahres wurde über einen Bericht von BBC bekannt, dass britische Archäologen in einer byzantinischen Siedlung im Süden des heutigen Albanien eine Figur entdeckten, die sie für einen Schachstein aus dem 6., vielleicht sogar 5. nachChr*stlichen Jahrhundert hielten. Damit war die Chronologie der Verbreitung des Schachspiels erneut in Frage gestellt. Wie konnte Schach seinen Weg so früh nach Europa finden?

Wenn die Ausbreitungswege derart unklar sind, wie lässt sich dann behaupten, es bestünde Gewissheit über den Ursprung des Spieles - vorausgesetzt, es gab überhaupt einen gemeinsamen, geographisch lokalisierbaren Ursprung? Zu denken ist in diesem Zusammenhang daran, dass nach der Spielreform Ende des 15. Jahrhunderts sogar noch im 19. Jahrhundert in Europa nach unterschiedlichen Regeln (etwa bei der Rochade) gespielt wurde.

Älter als die Hypothese von dem indischen Ursprung des Schachspiels ist die Annahme, dass die Ägypter das Schachspiel erfunden haben. H. F. Masssmann spottete in seiner Geschichte des mittelalterlichen, vorzugsweise des Deutschen Schachspieles (Quedlinburg u. Leipzig 1839; Reprint Schachverlag Horst Helten, Rodgau 1980):


Noch Andere wollen gern den Aegyptern, die bekanntlich auch alles erfunden haben müssen, die Ehre zuerkennen, daß sie des Schachspieles Erfinder gewesen.

Als Beleg hierfür nannte Massmann 1839 dieselben Stellen, die schon Gustavus Selenus über 200 Jahre zuvor in seinem Schachbuch (1616) angegeben hatte (S. 24).

Zunächst Jodocus Damhouderius: "Inter omnes ludos ingenii, haud vulgaris habetur Scachius, ab Aegyptiis, rerum abstrusarum indagatoribus, et ingenii cultoribus, inventus, quamvis alii eum Palamedi asscribant", das heisst nach der Übersetzung von Selenus: "Unter denselben Spielen, darinnen der Verstand muß gebrauchet werden, ist das Schachspiel nicht das geringste zu achten: welches von den Aegyptern alß die scharfsinnige Erfindere schwerer und fast unerförschlicher Sachen gewesen, auch ihren Verstand zu scherffen keine Gelegenheit unterlassen, auff die bahn gebracht worden: doch wollen etliche dem Palamedi die Ehre der Erfindung geben."

Das Zitat stammt aus dem Werk Paraeneses Chr*stianae sive loci communes ad religionem et pietatem Chr*stianam pertinentes (1571). Jodocus Damhouderius ist die latinisierte Form des Namens Joos (oder Joost) de Damhouder. Dies war ein europaweit bekannter Jurist (1507-1581), der seit 1551 Rat in der habsburgisch-niederländischen Finanzverwaltung war. Sein lateinisch verfasstes Strafrechtswerk Praxis rerum criminalium (1554) wurde noch im gleichen Jahr ins Französische und Niederländische übersetzt, später erschien auch eine deutsche Übersetzung. Diese Arbeit beeinflusste das europäische Strafrecht bis in das späte 18. Jahrhundert hinein. Da Damhouder ohne Hemmungen fremde Werke "schamlos kopierte" und dabei nicht davor zurückschreckte, Quellenangaben wegzulassen oder zu verfälschen, ist es eine reizvolle, allerdings jedoch wohl schwierige Aufgabe herauszufinden, wie er auf die Ägypter als Erfinder des Schachspiels gebracht wurde.

Der spanische Arzt Juan Huarte (1529-1588), ein Zeitgenosse von Damhouder, erwähnte in seinem 1752 von Lessing übersetzten Examen de ingenios (1575) mehrmals den Erfinder des Schachspiels, ohne in diesem Zusammenhang über dessen Herkunft zu spekulieren. Er betonte jedoch an anderer Stelle, dass eine gute "Einbildungskraft" (Lessing; Huarte: "imaginativa") erforderlich sei, um gut Schach spielen zu können, und schreibt im 12. Hauptstück über die in der Medizin erforderliche Einbildungskraft, "daß alle Wissenschaften welche von der Einbildungskraft abhangen in Egypten sind erfunden worden; als die Mathematik, die Astrologie, die Rechenkunst, die Perspektiv, die Wissenschaft vorher zu verkündigen und viele andre". Klingt das nicht ähnlich wie das Zitat von Damhouder? Klingen darin nicht auch die Themen Magie und Alchemie an - Hexerei... Für Hexenprozesse wiederum galt Damhouder als Spezialist!

Ein weiterer Verfechter der Hypothese, dass das Schachspiel von den Ägyptern stamme, war gemäß Selenus vor Damhouder der italienische Philosoph Ludovicus Caelius Rhodiginus (eigentlich Recherius oder Ricchieri de Rovigo; 1450-1520), der sich auch mit den Chaldäischen Mysterien und Zoroaster (Zarathustra) beschäftigt hat. Laut Selenus soll Rhodiginus der Ansicht gewesen sein, dass die Ägypter das Schach nicht zum Spielen erfunden haben, sondern als ein Mittel, um darunter, wie unter einem Deckmantel, geheime und wichtige Sachen zu verstecken und verdeckt "an den Tag zu geben". Eine sehr wichtige Aussage - vor allem, wenn man berücksichtigt, dass die Kryptographie damals eine Geheimwissenschaft für die fürstlichen Herrscher und ihre Diplomaten war und dass Gustavus Selenus im Jahr 1624 das kryptologische Standardwerk seiner Zeit, Cryptomenytices et Cryptographiae libri IX, veröffentlichte.

Gustavus Selenus (also Herzog August d. J. von Braunschweig-Lüneburg - 1579-1666) hatte als Quelle für seinen Hinweis auf Rhodiginus angegeben: "lib. 20, c.14. Antiq: Lection:". Damit kann nicht die Erstausgabe von "Lodovici Caeli Rhodigini lectionum antiquarum" gemeint sein, die 1517 im Universitätsverlag Basel erschien, denn diese Ausgabe bestand nur aus 16 Büchern. 30 Bücher dagegen enthielt z.B. die 1599 in Frankfurt am Main nach dem Tode des Autors erschienene Ausgabe "Lvdovici Caelii Rhodigini Lectionvm Antiqvarvm Libri Triginta : Recogniti ab Auctore (...)" von Lodovico Ricchieri "Postrema Editio, cui accesserunt Capitum & Rerum Indices omnium locupletißimi".

Woher Rhodiginus wiederum die Idee von einer Verbindung zwischen Ägypten und Schach erhalten hat, müsste, könnte (vielleicht) ein intensives Quellenstudium aufzeigen.

Abwegig war die Idee keineswegs. In der Renaissance beschäftigte man sich mit der griechischen Antike. Rhodiginus galt als Plato-Spezialist. Der griechische Philosoph Plato (427-347 v.Chr.) unternahm nach dem Tode seines Lehrers Sokrates weite Reisen, u.a. nach Ägypten. In Platons Werk Phaidros (274 d) sagt Sokrates:

"Ich habe also gehört, zu Naukratis in Ägypten sei einer von den dortigen alten Göttern gewesen, dem auch der Vogel, welcher Ibis heißt, geheiligt war, der G*tt selbst aber habe Theuth geheißen. Dieser habe zuerst Zahl und Rechnung erfunden, dann die Meßkunst und die Sternkunde, ferner das Brett- und Würfelspiel, und so auch die Buchstaben." (Schleiermacher-Übersetzung mit den Randziffern der Stephanus-Ausgabe, Paris 1578).

In deutschen Plato-Übersetzungen hat man das griechische Brettspiel "Petteia" mit Schach übersetzt, was einerseits irreführend, anachronistisch und im Grunde falsch war, was anderseits jedoch durch die Betonung des strategisch-wissenschaftlichen Charakters des Brettspiels in der Abgrenzung zum griechischen Würfelspiel "Kubeia" aus der Sicht der Leser nachvollziehbar und insofern hilfreich war.

Um es klar zu sagen: Petteia war ein Brettspiel, das auf einem rechteckigen Brett (8x8 oder 12x8) von zwei Personen gespielt wurde. Spielziel war die Vernichtung oder die Bewegungsunfähigkeit der Spielsteine des Gegners - kein Schach.

Es ist durchaus möglich, dass es früher bezüglich des Wissens über Brettspiele Verbindungen zwischen Ägypten und Griechenland gab, was Plato im Phaidros zu bezeugen scheint, möglich ist auch, dass es eine Verbindung zwischen Brettspielen und der Astronomie gab. Wir können mit Ricardo Calvo davon ausgehen, dass der spanische König Alfons der Weise noch ein astronomisches Schachspiel kannte ("Los Escaques" - "die Schachfelder"), das in seinem berühmten Codex von 1283 erläutert wird. Juri Awerbach hat auf die Möglichkeit hingewiesen, dass das griechische Kriegsspiel Petteia dem indischen Kriegsspiel Tschaturanga begegnete, was zur Entstehung des Schachspiels geführt haben könnte (Wie das Schachspiel entstand, Schach-Journal 1-91). Absolute Sicherheit über den geographischen Ursprung des Schachspiels besteht jedenfalls noch nicht.

Wenn allerdings ein "Prof. Dr. On. Ekoj-dab" von der Universität Jericho am 1. April zu wissen vorgibt, dass das Schachspiel in Qumran-Rollen nachweisbar sei, dann verdient diese Aussage so viel Skepsis wie diejenige des indischen "Songschreibers Ekoj Dab", der unter Hinweis auf die frühere Zugehörigkeit Indiens zum britischen Empire am 1. April die Möglichkeit zur Teilnahme am Grandprix Eurovision verlangt.

{Quelle: http://www.pocketfritz.de/nachrichten.asp?newsid=2015}

Gruesse vom

Ritter
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"Sie wollen die Wahrheit? Sie können die Wahrheit doch gar nicht vertragen!" Jack Nicholson in Eine Frage der Ehre
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[Kein Betreff] - von Knight - 18.08.12004, 17:03
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