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Briseis - die den Sieg davonträgt
#3
Wir verließen Lyrnessos durch das offene Haupttor, durch das die Griechen ein- und ausgingen; einige hatten geplündert, andere waren bei Huren gewesen, wieder andere hielten Fackeln in der Hand, andere Weinschläuche. Achilles machte keine Anstalten, sie zur Ordnung zu rufen. Er übersah sie.

Am höchsten Punkt der Straße wandte ich mich um und blickte hinunter in das Tal von Lyrnessos. „Ihr habt meine Heimat zerstört. Hier habe ich zwanzig Jahre gelebt, hier hoffte ich zu bleiben, bis man hier eine Hochzeit ausrichtet. Aber das hier habe ich nicht erwartet."

Er zuckte die Schultern. „So ist das nun mal im Krieg, Mädchen.“

„Könnt Ihr nicht verhindern, dass sie sich wie Tiere aufführen? Muss das sein? Ich habe die Frauen schreien hören – und ich habe gesehen, was sie ihnen angetan haben!“

Seine Augen wurden schmal; er sah mich zynisch an. „Was wisst Ihr von Griechen in der Fremde und ihren Gefühlen? Ihr hasst uns, und das verstehe ich. Aber ihr hasst uns nicht so, wie diese Männer Troja und seine Verbündeten hassen! Priamos hat sie bereits zehn Jahre fern von der Heimat gekostet. Sie genießen es, sie dafür zahlen zu lassen. Ich könnte sie nicht einmal aufhalten, auch wenn ich es wollte. Und offen gestanden, mir ist auch gar nicht danach.“

„Ich habe die Geschichten seit Jahren gehört, aber nicht gewusst, wie der Krieg wirklich ist,“ flüsterte ich.

„Nun wisst ihr es!“

Sein Lager war drei Meilen entfernt; als wir ankamen, rief er einen Offizier aus dem Tross zu sich.

„Polides, dies ist meine eigene Beute. Nehmt den Gürtel und bindet sie an einen Amboss, bis ihr ordentliche Ketten geschmiedet habt. Lasst sie nicht einen Augenblick frei, selbst dann nicht, wenn sie den Abort benutzen will. Wenn Ihr sie in Ketten gelegt habt, bringt sie an einen Ort, wo sie alles hat, was sie braucht – einschließlich guter Verpflegung, einem ordentlichen Bett und Nachtgeschirr. Morgen geht Ihr mit ihr zu der Flotte in Andramyttios und übergebt sie Phoinix. Sagt ihm, dass ich ihr nicht traue und sie nicht die geringste Freiheit haben darf.“

Er nahm mein Kinn und zwickte es leicht. „Auf wiedersehen, Mädchen.“

Polides fand leichte Ketten für meine Fußgelenke, polsterte die Manschetten und brachte mich auf einem Esel zur Küste. Dort wurde ich Phoinix übergeben, einem aufrechten, alten Adligen mit den blauen Augen und dem wiegenden Gang eines Seemannes. Als er meine Fesseln sah, schnalzte er mit der Zunge, doch er machte keine Anstalten, sie abzunehmen, nachdem er mich an Bord seine Flaggschiffes gebracht hatte. Höflich forderte er mich auf, Platz zu nehmen, doch ich bestand darauf zu stehen.

„Es tut mir so leid wegen der Ketten“, sagte er mit kummervollen Blick. Doch sein Kummer galt nicht mir, wie ich feststellte.

„Armer Achilles!“

Es ärgerte mich, dass der alte Mann so gering von mir dachte. „Dieser Achilles hat eine bessere Vorstellung von meinem Mut als Ihr! Lasst mich nur in die Nähe eines Dolches kommen, und ich werde mir den Weg aus diesem Elend schon freikämpfen oder dabei zu Grunde gehen!“

Er schmunzelte.
„Ai, Ai. Was für eine wilde Kämpferin Ihr doch seid! Macht Euch keine Hoffnung, Mädchen.
Was Achilles gebunden hat, wird Phoinix nicht lösen.“

„Ist sein Wort ein solch geheiligtes Gesetz?“

„Allerdings. Er ist der Prinz der Myrmidonen.“

„Prinz der Ameisen. Wie passend.“

Statt einer Antwort schmunzelte er wieder und schob mir einen Stuhl zu. Voller Abscheu betrachtete ich ihn, aber mein Rücken schmerzte von dem Eselritt, und meine Beine zitterten, denn seit meiner Gefangennahme hatte ich mich geweigert zu essen oder zu trinken. Mit harter Hand drückte Phoinix mich auf den Sitz und zog den Stöpsel aus einem goldenen Weinflakon.

„Trinkt, Mädchen. Wenn Ihr Euren Stolz behalten wollt, müsst ihr Euch ernähren. Seid nicht töricht.“

Ein vernünftiger Rat. Ich befolgte ihn – und merkte schnell, dass mein Blut dünn war und der Wein mir den Geist vernebelte. Ich konnte nicht länger kämpfen. Ich stützte den Kopf in die Hand und schlief auf dem Stuhl ein. Als ich viele Stunden später aufwachte, stellte ich fest, dass man mich auf ein Bett gelegt und an einen Balken gekettet hatte.

Am nächsten Tag wurde ich an Deck gebracht und meine Kette an der Reling festgemacht, sodass ich in der schwachen Wintersonne stehen und das lebhafte Treiben am Strand verfolgen konnte. Dann erschienen vier Schiffe am Horizont, und ich beobachtete, wie eine große Aufregung die Männer da unten erfasste, vor allem ihre Führer. Plötzlich tauchte Phoinix auf und band mich von der Reling los, um mich in einen Unterstand auf dem Achterdeck zu schieben, der nach Pferden stank. Er brachte mich hinein und kettete mich an eine Stange.

„Was ist los?“ fragte ich neugierig.

„Agamemnon, der König der Könige“, antwortet Phoinix.

„Warum versteckt ihr mich? Bin ich nicht gut genug, um den König der Könige zu begegnen?“

Er seufzte. „Habt Ihr keinen Spiegel daheim in Dardanien besessen, Mädchen. Ein Blick auf Euch, und Ihr gehört Agamemnon statt Achilles.“

„Ich könnte schreien“, sagte ich nachdenklich.

Er starrte mich an, als ob ich verrückt geworden sei. „Ihr würdet es bereuen, wenn Ihr das tätet, das verspreche ich Euch. Was hättet Ihr davon, wenn Ihr den Herrn wechselt? Glaubt mir, am Ende seid Ihr mit Achilles besser dran.“

Etwas in seiner Stimme überzeugte mich, und so hockte ich mich hinter einen Trog, als ich vor dem Eingang Stimmen hörte, und lauschte den reinen, fließenden Kadenzen eines makellosen Griechisch – und der Kraft und Autorität, die eine der Stimmen besaß.

„Ist Achilles noch nicht zurück?“, erkundigte sie sich herrisch.

„Nein, Majestät, aber er sollte noch vor Anbruch der Nacht eintreffen. Er musste noch die Plünderung überwachen. Eine reiche Beute. Die Wagen waren voll beladen.“

„Ausgezeichnet! Ich warte in seiner Kabine.“

„Ihr solltet dies besser in dem Zelt am Ufer tun, Majestät. Ihr kennt Achilles. Bequemlichkeit bedeutet ihm nichts.“

„Wie Ihr meint, Phoinix.“

Ihre Stimmen wurden leiser; ich kroch aus meinem Versteck. Der Klang dieser kalten, stolzen Stimme hatte mir Angst eingejagt. Achilles war auch ein Ungeheuer, aber von zwei Übeln war immer jedes das bessere, das man kannte.

Niemand kam während des Nachmittags in meine Nähe. Anfangs saß ich auf dem Bett, von dem ich annahm, dass es Achilles gehörte, und inspizierte neugierig den Inhalt der kargen Kabine. Ein paar Speere lehnten an einem Pfosten, es war kein Versuch unternommen worden, die einfachen Balkenwände zu streichen, und der ganze Raum war winzig. Er enthielt nur zwei bemerkenswerte Dinge: Das eine war eine herrlich weiße Pelzdecke auf dem Bett, das andere ein massiver Goldkelch mit vier Henkeln.

In diesem Augenblick überfiel mich meine ganze Trauer, vielleicht weil ich mich zum ersten Mal seit meiner Gefangennahme keiner gefährlichen Situation gegenübersah. Während ich hier saß, lag mein Vater in Lyrnessos auf dem Leichenhaufen, Futter für die ewig hungrigen Stadthunde. Das war seit jeher das Schicksal, das hohe Adlige erwartete, die in der Schlacht gefallen waren. Tränen rannen mir übers Gesicht, ich warf mich auf die weiße Felldecke und weinte hemmungslos. Der weiße Pelz wurde nass unter meiner Wange, doch ich konnte nicht aufhören.

Mein Herz raste plötzlich in meiner Brust, als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte. Alle meine hehren Gedanken von Aufbegehren wurden hinweggefegt; ich konnte nur noch denken, das der Oberkönig Agamemnon mich gefunden hatte, und krümmte mich zusammen.

„Ich gehöre Achilles, ich gehöre Achilles!“ wimmerte ich.

„Das weiß ich. Was habt ihr geglaubt, wer hereingekommen ist?“

Ich ließ mir meine Erleichterung nicht anmerken, als ich das Gesicht hob und mir mit dem Handrücken die Tränen abwischte.

„Agamemnon?“

Ich nickte.

„Wo ist er?“

„In dem Zelt an Land.“

Achilles ging zu einer Truhe an der gegenüberliegenden Wand, öffnete sie, wühlte darin herum und warf mir ein Stück feines Tuch zu. „Hier putzt Euch die Nase, und trocknet Euer Gesicht ab. Ihr werdet sonst noch krank.“

Ich tat wie mir geheißen. Er trat wieder ans Bett und betrachtete wehmütig die Decke.
„Hoffentlich trocknet sie ohne Flecken. Sie ist ein Geschenk meiner Mutter.“ Er sah mich kritisch an.

„Überstieg es Phoinix Möglichkeiten, Euch ein Bad und ein sauberes Kleid zu besorgen?“

„Er hat es mir angeboten, aber ich habe abgelehnt.“

„Aber mir würdet Ihr es nicht abschlagen. Wenn die Bediensteten Euch einen Zuber und frische Kleidung bringen, werdet Ihr beides annehmen. Anderenfalls werde ich anordnen, das es mit Gewalt geschieht – und nicht von Frauen. Habt Ihr verstanden?“

„Ja.“

„Gut.“ Seine Hand lag bereits auf dem Türknauf, als er noch einmal innehielt.

„Wie heißt Ihr, Mädchen?“

„Briseis.“

Er lächelte anerkennend. „Briseis“ - Die den Sieg davonträgt –

„Seid ihr sicher, dass Ihr den nicht erfunden habt?“

„Der Name meines Vaters war Briseus. Er war ein Vetter ersten Grades von König Anchises und Kanzler von Dardanien. Wir sind königlicher Abstammung.“
Im A & O das Geheimnis liegt - Omega siegt!
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Es bedanken sich: Saxorior , Paganlord


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RE: Briseis - die den Sieg davonträgt - von Hernes_Son - 23.06.12018, 13:51

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