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Insel der Schwäne
#2
Kapitel II

Der Wecker klingelte wie jeden Morgen. Wie jeden Morgen wartete Helia darauf, daß das zweite Klingeln sie zum Aufstehen zwang. Sie setzte sich im Bett auf und fuhr sich mit den Fingern über ihre Schläfen. Sie hatte diese Nacht wieder diesen eigenartigen Traum von der Insel und diesem Mann. Das hatte sie noch nie. Den gleichen Traum so oft. Und dieser Mann ... Es war so sonderbar. So viele Gefühle und alles so real. Sie schüttelte den Kopf. Wer weiß... Vielleicht lag es einfach nur am Mond. Bei Vollmond hatte sie schon immer eigenartige Träume. Aber diesen nun schon zum vierten Mal zum Vollmond. Helia schüttelte ihren Kopf um ihre Gedanken zu vertreiben. Sie rieb sich noch einmal die Augen und erhob sich dann mit erzwungenem Elan aus dem Bett. Sie hatte wie jeden Morgen wenig Zeit, um sich für den Tag zurrecht zu machen. Zügig zog sie ihre Sachen an, widmete sich der Morgenwäsche und goß sich noch schnell ihren Cappuccino in ihren Becher und huschte aus der Wohnungstür zu ihrem Auto. Helia atmete tief ein und sie lächelte. Frühlingsluft. Endlich! Der Winter hatte ein Ende. Er war für Griechenland sehr lang und ungemütlich. Sie lauschte auf den Gesang der Vögel, schloß die Augen und - sah wieder in die Augen dieses Mannes. Benommen hielt sich Helia an ihrem Wagen fest. Beinahe hätte sie ihren Cappuccino verschüttet. Sie holte tief Luft und blickte sich um. Hatte noch jemand bemerkt, was gerade geschehen war? Niemand zu sehen...
Helia saß nun an ihrem Arbeitsplatz. Sie starrte nun schon eine halbe Stunde auf ihren Bildschirm ohne zu arbeiten. Sie war in ihren Wagen gesprungen und schneller als sonst zur Arbeit gefahren. Nun saß sie hier und grübelte. Sie war nun schon so lange allein und ein Mann aus ihren Träumen löste Gefühle aus, die sie sehr lange nicht mehr hatte. Das Klingeln ihres Telefons riß sie aus ihren Gedanken. Sie ließ den Kugelschreiber aus ihrer Hand fallen und griff zum Hörer. "Büro für Ausgrabungen. Helia Menis guten Tag."
"Guten Tag. Andreas Diones. Ich habe gehört, daß sie gerade eine neue Lieferung erhalten haben. Es handelt sich meiner Erkenntnis nach um Ausgrabungsstücke eines alten Apollon-Tempels. Sagen sie ... ist es möglich, die Fundstücke zu besichtigen?" Es schien dem Mann sehr wichtig zu sein. "Das ist nur auf schriftliche Nachfrage möglich, Herr Diones, und die Stücke werden in zwei Wochen auf einer Ausstellung in Korinth gezeigt. Wir arbeiten sie hier nur auf. Und schriftliche Zusagen benötigen, wie jeder weiß, länger." "Gibt es denn keine Möglichkeit? ... Ich meine..." Seine Stimme klang sehr anziehend. Aber das hatte nichts zu sagen. Viele Männer hatten am Telefon eine tolle Stimme. Aber irgendwie... "Raus mit der Sprache, junger Mann. Welcher Schatz raubt ihnen den Schlaf?" Helia sagte es auf ihre freche Art, die ihr niemand übel nahm. Sie lachte und der Herr am anderen Ende schien über ihre Art erleichtert. "Wissen sie. Ich arbeite an der Universität in Korinth und habe über die Ausgrabungen gelesen. Es interessieren mich zwei Stücke, die in dem Artikel kurz beschrieben wurden. Es waren ein Ring und eine Brosche. Ich arbeite gerade an einer Vorlesung über Sonnenkulte, und diese beiden Stücke mit ihrer Symbolik sind mir noch nicht bekannt. Sie wären echt ein Goldschatz, wenn sie da etwas für mich tun könnten...?...äh...Bitte?" Helia mußte herzhaft lachen. "Ein kleiner Charmeur also!" Auch Andreas lachte. "Warten sie kurz. Ich schaue, was ich für sie tun kann." Helia legte den Hörer zur Seite und ging in das Büro ihres Vorgesetzten. Es war ein Mann mittleren Alters. Seine Haare waren schon sehr ergraut. Man sagte oft, daß Männer im Alter mit grauen Haaren attraktiver aussahen. Auch er wirkte charismatisch. Wie immer hatte er einen nachdenklichen Blick, wenn er ein Ausgrabungsstück mit einem Vergößerungsglas betrachtete. "Entschuldigen sie. Ich habe einen Herrn von der Universität in Korinth am Telefon. Er möchte sich gern die Ausgrabungsstücke ansehen, die gerade im Labor aufgearbeitet werden. Ein Herr Diones. Er hat noch keinen schriftlichen Antrag gestellt. Können wir da ein Auge zudrücken?" Er schaute von seinem Fundstück nun auf Helia. "Herr Diones ... bestimmt sein Sohn." Ihr Vorgesetzter grübelte kurz. Nicht wegen der Erlaubnis einer Besichtigung, sondern um seine Erinnerungen an diesen Mann abzurufen. Es dauerte bei ihm manchmal etwas länger. Helia schmunzelte und dachte daran, daß Professoren in Filmen oft so dargestellt werden. "Ja, ja...ist in Ordnung. Er soll seinem Vater einen Gruß von mir bestellen." Sein Blick war schon wieder auf das Fundstück gerichtet.
"Hören sie...?" "Ja!" Dieses 'ja' klang so ungeduldig und angespannt. "Also... Da heute der erste schöne Frühlingstag ist und ich mich bei meinem Vorgesetzten für sie sehr stark eingesetzt habe, machen wir eine Ausnahme." Helia lachte. "Wann haben sie denn das Bedürfnis hier zu erscheinen, Herr Diones?" "Sie sind wirklich ein Goldschatz! Ich könnte Morgen früh in Athen sein. Wann öffnen sie denn ihr Büro?" "Sie können es wohl kaum abwarten? Ich öffne um 8:30 Uhr die Tore. Halten sie es noch so lange aus?" Andreas lachte am anderen Ende der Leitung, und Helia tat es ihm nach. "Das geht gerade noch. Also bis morgen! Wiederhören." "Wiederhören." Helia legte den Hörer zurück in die Halterung, nahm ihren Kugelschreiber wieder in ihre Hand und nahm den gleichen abwesenden Zustand ein, wie vor dem Telefonat. Nun waren es nicht nur die Träume, sondern auch Herr Diones, der ihre Gedanken füllte.

Andreas hatte den Hörer aufgelegt und sah fast gleichzeitig auf seine Uhr. Wenn er sich jetzt beeilen würde, könnte er noch den letzten Zug heute abend nehmen. Der nächste fährt erst am nächsten Morgen. Und das schon um 4:00 Uhr. Er sah sich in seinem Büro um, griff seine Forschungsunterlagen, den Zeitungsbericht über die Ausgrabungen, seine Jacke und seine Schlüssel.
"Marta?" Die Dame am Empfangsschreibtisch sah zu ihm auf. "Sagen sie bitte alle Termine für diese Woche ab. Es hat sich etwas Wichtiges ergeben." Und ehe Marta ihre Anweisung bestätigen konnte, war Andreas schon aus der Tür. So kannte sie ihn. Immer auf dem Sprung, und wenn sich etwas Neues bei seinen Forschungen ergab, war er nicht zu halten.
Nun saß Andreas im Zug nach Athen. Er hatte den Zug nur bekommen, weil er Verspätung hatte. Er lächlete bei dem Gedanken. Manchmal ist der Zufall ihm gut gesinnt. Er lehnte seinen Kopf gegen den Sitz, sah aus dem Fenster und dachte an Dana. Er hatte mit ihr eine heftige Auseinadersetzung, als er ihr von seinem Vorhaben erzählt hatte. Sie waren nun schon so lange zusammen, daß sie doch diese Anwandlungen von ihm akzeptieren müßte. Es kam so oft vor, daß er spontan für einige Tage verschwand. Oder war er in letzter Zeit weniger zu Hause als sonst? Diese Frage mußte er leider mit ja beantworten. Er war so in seine Arbeit vernarrt, daß er es nicht bemerkt hatte. War es nun das Interesse für seine aktuelle Forschung? Und diese Träume in den letzten Monaten. Er hatte das Gefühl als müßte er nach etwas suchen, was er noch nicht gefunden hat. Und dann war da dieser Zeitungsartikel. Oder war es nur ein Vorwand? Er schüttelte seinen Kopf. Für diese Gedanken war er noch nicht bereit. Jetzt wollte er sich unbedingt diese Ausgrabungsstücke ansehen, die in diesem Artikel erwähnt wurden. Der Sonnenkult hatte ihn schon interssiert, als er mit seinem Vater viele Ausgrabungsstätten besichtigt hatte. Er wußte nicht mehr wieviele Bücher er darüber gelesen hatte. Aber die beschriebenen Stücke paßten überhaupt nicht in das Muster seiner Forschungsergebnisse. Er schloß die Augen und schlief sofort ein.

Er verlor sich in den Augen der fremden Frau. "Alles ist eins..."... "Arkas" ... Der Blick über den Berg von Leichen, dann dieses glühende Eisen und der folgende Schmerz...

"Nächster Halt: Athen Hauptbahnhof" Die freundliche Stimme holte ihn aus diesem immer wiederkehrenden Traum. Er faßte sich mit der rechten Hand an seinen Oberkörper. Manchmal war dieser Schmerz so real, daß er nach Luft ringen mußte. Auch heute wieder. Andreas lehnte sich in seinen Sitz, um sich zu beruhigen. Nach einigen Atemzügen war der Schmerz wieder erloschen. Er nahm sein Gepäck und verlies den Zug.

Andreas hatte das Hotel bezogen und zu Abend gegessen. Nun saß er auf dem Balkon und betrachtete die Akropolis. Die Sonne ging gerade unter und tauchte sie in ein wunderschönes, goldenes Licht. Wie so oft dachte er in solchen Momenten an die Geschichten, die mit diesem Ort verbunden waren. Die Zerstörung durch die Perser, Phillip von Makedonien, Olympias von Epirus, sein Sohn Alexander der Große mit seinen treuen Gefährten, Thais, welche die erste Fakel auf Persepolis warf, als Vergeltung für die vergangene Tat...
Ein Gespräch auf der Straße riß ihn aus seinen Gedanken. Es war eher ein Lachen. Es kam ihm irgendwie bekannt vor. Es hörte sich fast so an, wie die Dame am Telefon. Andreas schaute über das Geländer und sah eine junge Frau über die Straße eilen. Aufgrund ihrer Gelassenheit telefonierte sie vermutlich mit einer vertrauten Person. Und wieder dieses Lachen. Die junge Frau gestikulierte zu ihrer Unterhaltung mit ihren Händen. Andreas bemerkte, wie komisch es eigentlich ist, daß man dies tut, ohne demjenigen gegenüberzustehen. Er schmunzelte. Die Frau war nun auf der anderen Straßenseite angekommen, bog weiter schnatternd in einen Eingang der Wohnhäuser und verschwand aus seiner Sicht.
Andreas ging in sein Zimmer, nahm seine Unterlagen und sah auf sein Telefon. Dana hatte immer noch nicht angerufen. Aber auch ihm war nicht danach mit ihr zu sprechen. Sollte denn wirklich das passieren, was er nie für möglich gehalten hat? Wieder schob er diesen Gedanken zur Seite. Er nahm sich seine Unterlagen, legte sich auf sein Bett und ging alle Symboliken noch einmal durch. Er wollte für morgen vorbereitet sein und prägte sich von seinen zusammengetragenen Unterlagen jedes Detail ein. Morgen würde er seine These bestätigen oder seinen Horizont erweitern können. Die Müdigkeit übermannte ihn, und er schlief mit seinen Unterlagen auf dem Bauch ein.

Helia stieg aus ihrem Wagen und öffnete die Tür zum Büro. Sie war heute die Erste. Aber so war Helia immer, wenn sich Besuch angekündigt hatte. Lieber zu früh, als nach dem Gast anzukommen. Vor allem mit ihrem Kaffee-Becher... Sie mußte über sich selbst schmunzeln. Sie betrat die Büroräume, stellte ihre Tasse an ihrem Platz ab und startete ihren Rechner.
"Hallo?... Guten Morgen." Helia schaute von ihrem Arbeitsplatz auf. Im Türrahmen stand ein gutaussehender großer junger Mann mit einer normalen Figur. Er müßte etwas älter sein als ich, dachte sie in einem Bruchteil einer Sekunde. Er hatte kurze dunkle Haare, grüne Augen und trug eine Brille. Helia bemerkte, daß sie ihn sehr anziehend fand. Ein unsicheres "Guten Morgen" fand den Weg über ihre Lippen. Sie spielte nervös an dem Ende ihres Tuches, welches sie legere um ihren Hals trug. Der junge Mann lächelte. "Ich bin Andreas Diones. Und sie müssen der Goldschatz sein." Er reichte Helia seine Hand. Sie lachte und freute sich darüber, daß er ihre Anspannung lösen konnte. Sie reichte ihm ihre Hand und wollte eine ihrer frechen Antworten zurückgeben, doch als sich ihre Hände berührten, zogen schlagartig alle Bilder aus ihren Träumen an ihr vorbei. Ruckartig entriß sie sich dem Händedruck. Sie hielt sich ihre Hand, als hätte sie einen Schlag bekommen und atmete hektisch. Als sie wieder klar sehen konnte sah sie zu Andreas. Voller Staunen mußte sie feststellen, daß auch er irgendwie so wirkte als hätte er gerade das Gleiche erlebt, wie sie.
"Andreas!" Der Professor betrat den Raum. "Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, hast Du noch studiert. Das ist ja eine Freude Dich zu sehen!" Helias´ Vorgesetzter hatte nicht bemerkt, was gerade geschehen war. Helia mußte wieder daran denken, daß er auch in dieser Hinsicht das publizierte Bild eines Professors bestätigte. Andreas und Helia nutzten die Gelegenheit sich zu sammeln. Der Professor legte den Arm um Andreas, verwickelte ihn in ein Gespräch und führte ihn sein Büro. Noch lange blickten sich Andreas und Helia in die Augen. Helia vernahm die Worte des Professors noch aus weiter Ferne. Sie wagte kaum zu atmen. Die Tür schloß sich hinter den beiden Männern, und Helia blieb zurück.
Finde Dich selbst!
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Insel der Schwäne - von Erato - 08.07.12008, 15:14
Re: Insel der Schwäne - von Erato - 14.04.12010, 21:27

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