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Heidnische Überbleibsel im Berliner Umland
#24
   
Ausschnitt 1 aus der Germanien-Karte des Belgiers Petrus Kaerius. Zu sehen ist der Winkel, den Albis fluvius (Elbe) und der Unterlauf des Suebus fluvius (Havel bzw. Spree) bilden.

MOZ vom 28.05.2016

Havelland (MOZ) Eine historische Landkarte, auf der das Havelland als riesiger Wald und der Elb-Havel-Winkel als Lebensraum des germanischen Stammes der Semnonen ausgegeben wird - wo gibt's denn so was? Auf der "Germaniae Veteris Nova Descriptio" genannten Karte des Belgiers Petrus Kaerius (1570-1630)! Sie soll Germanien vor der Völkerwanderung darstellen.

Viele Angaben auf historischen Karten Europas gehen auf ein geografisches Werk des Gelehrten Claudius Ptolemäus zurück, der es im 2. Jahrhundert nach dieser Zeitrechnung geschaffen hatte. Er gab die Lage von rund 6.000 Orten der damals bekannten Welt (Europa, Afrika, Asien) an. Sehr wahrscheinlich hat sich auch Petrus Kaerius bei Ptolemäus bedient. Andererseits könnte er auch eigene Geschichtskenntnisse auf seiner Karte verarbeitet haben. Wie er nun von den Semnonen erfuhr, die zur Zeitenwende im Elb-Havel-Winkel und sehr wahrscheinlich bis hin zur Oderregion lebten, läßt sich wohl kaum in Gänze in Erfahrung bringen.

Besonders auffällig an der Germanien-Karte des Petrus Kaerius sind die Namen von Orten, die keiner kennt, und das Fehlen des Oberlaufs der Havel. Der an seinem Unterlauf in die Elbe (Albis fluvius) mündende Fluss wurde Suebus fluvius genannt, wohl nach dem Stammesverbund der Sueben, zu dem die Semnonen gehörten. Der Suebus fluvius entspringt im Südosten, entspricht also bis zu seiner Mitte der heutigen Spree.

Daß die Kunde von den Semnonen schon vorher bis zu Claudius Ptolemäus gelangt sein könnte, würde kein Mysterium darstellen. Ägypten, wo der Gelehrte arbeitete, gehörte als Provinz zum Römischen Reich. In diesem lebte ein paar Jahrzehnte vor Claudius Ptolemäus der Historiker Publius Cornelius Tacitus. Und dieser hatte sich schon ausführlich der Geografie und Kultur der Germanen in seinem Werk "Germania" gewidmet. Über die Semnonen schrieb Tacitus:

"Als die Ältesten und Edelsten unter den Sueben bezeichnen sie die Semnonen. Eine Bestätigung ihres hohen Alters bietet ein religiöser Brauch: Zu einer festgesetzten Zeit kommen in einem Wald, heilig durch Weihung der Väter und Ehrfurcht heischendes Alter, alle Völkerschaften desselben Blutes durch Gesandtschaften zusammen, opfern im Namen der Gesamtheit einen Menschen und begehen dann die schauervolle Feierlichkeit eines barbarischen Gottesdienstes. (...) Hundert Gaue bewohnen sie, und ihre große Volkszahl bewirkt, dass sie sich als Haupt der Sueben ansehen."

Sehr verlockend ist es, bei einem der Wälder, die der Kartograph links und rechts neben den Unterlauf des Suebus fluvius zeichnete, an den sogenannten Heiligen Hain der Semnonen zu denken. Da eine konkrete diesbezügliche Benennung auf der Karte fehlt, kann sie leider nicht bei der Lokalisierung des Hains helfen. Gewiss ist aber, dass der Elb-Havel-Winkel ein echtes Mysterium birgt. Spannend wird es nämlich dort, wo sich sagenhafte Überlieferungen aus germanischer Zeit und reale Geschichtsforschung kreuzen könnten.

Je weiter nördlich man in den geschichtlichen Mikrokosmos des Elb-Havel-Winkels vordringt, um so näher kommt man Frau Harke. Diese sagen- und riesenhafte Gestalt gilt als Schutzpatronin der Region. Kamern rühmt sich seiner Kamernschen Berge, der mutmaßlichen Heimat der Frau Harke. Entsprechend lautet der Name eines 109 Meter hohen Hügels Harkenberg. Kamern selbst nennt sich "Frau-Harke-Dorf". Es ist schon etwas seltsam, was ausgerechnet römische Chronisten über eine riesenhafte Frauengestalt an der Elbe berichteten, die mit seherischen Fähigkeiten Geschichte geschrieben haben soll.

   
Der "Teufelsaltar" bzw. die "Teufelskanzel" in Harkenberg.

Demnach wollte der 29-jährige römische Heerführer Drusus (Nero Claudius Drusus (14. Januar 38 v. d. Z. bis 14. September 9 v. d. Z.), auch der „ältere Drusus“ (lateinisch Drusus maior) oder nur Drusus genannt, Heerführer, römischer Politiker und Stiefsohn des Kaisers Augustus.) mit seinen Truppen über den Fluß in semnonisches Stammesgebiet vordringen. Ihm soll am Ufer der mittleren Elbe ein "Weib von übermenschlicher Größe" entgegen getreten sein. Laut Reallexikon der germanischen Altertumskunde von Johannes Hoops (1865-1949), soll die Frau prophezeiht haben, daß Drusus ein weiteres Vordringen in das Land vom Schicksal nicht bestimmt sei und er bald sterben werde. Die Chronisten, die in diesem Zusammenhang in der Regel heran gezogen werden, hießen Gaius Suetonius Tranquillus (1./2. Jahrhundert) und Lucius Cassius Dio (2./3. Jahrhundert).

Es läßt sich nicht sicher bestimmen, an welchem Flussabschnitt zwischen den heutigen Städten Magdeburg und Havelberg es zu dem Treffen zwischen Drusus und Frau Harke (bzw. der semnonischen Seherin Ganna) kam. Geschichtlich belegter Fakt ist, daß Drusus den Rückmarsch von der Elbe nicht überlebte und am 14. September des Jahres 9 v. d. Z. an den Folgen eines Sturzes vom Pferd starb.

   
So stellte sich Rathenows Ehrenbürgerin Erika Guthjahr (1916-2005) die Frau Harke vor. Diese Zeichnung ist seit einigen Jahren auf einer Infotafel auf dem Weinberg zu sehen.


   
Ganna (die Zauberkräftige) ist eine germanische Seherin aus dem Stamm der Semnonen, die Ende des 1. Jahrhunderts n. d. Z. als Nachfolgerin der Veleda tätig war. Der Seherin (und dem ganzen Semnonenvolk zu Ehren) wurde das Projekt: "Historisches Semnonen-Dorf Gannahall" gegründet  http://www.gannahall.de


Masyos (Später asischer König der Semnonen und die wanische Ganna, eine Jungfrau, die nach Veleda in Germanien als Seherin aufgetreten war, kamen zu Kaiser Domitian und wurden von ihm ehrenvoll behandelt und dann wieder nach Germanien zurückgebracht“

– Cassius Dio, Historia Romana 67, 5

Ganna begleitete Masyas zu Verhandlungen mit Kaiser Domitian, entweder zu dessen zeitweiligen Aufenthalt in Gallien, oder nach Rom. Wie ihre Vorgängerin Veleda hatte Ganna (beide als Jungfrauen beschrieben) vermutlich ebenfalls politischen Einfluss neben ihrer religiösen Funktionen in der Mantik, Weissagung und der Zauberpraktiken (Galster). Der Name Gannas wird mit altnordisch gandr ‚Zauberstab‘ verbunden gedeutet. Wie bei der Veleda, der Waluburg und bedingt bei der Albruna handelt es sich um einen „sprechenden“ Funktionsnamen einer Seherin.


   
Archäologischen Landesmuseum Brandenburg

Masyos, König der Semnonen (Jakob Grimm, Geschichte der deutschen Sprache I. 2. Ausg. Leipzig 1853 S. 344 schlägt vor Nasyos, erinnernd an die bei Cäsar genannten Brüder Nasua und Cimberius) besuchte mit einer weissagenden Jungfrau Ganna (s. Jakob Grimm. Deutsche Mythologie 3. Ausg. I. Göttingen 1854 S. 85, 374) Kaiser Domitian 81—96 n. d. Z. in Rom oder während seines Aufenthaltes in Gallien oder im Chattenlande 83—85. Ganna soll der Veleda gleichzeitig gewirkt haben als „weise Vala,“ (jener Imperator legte höchsten Werth auf Weissagungen) und beide kehrten ehrenvoll behandelt zurück. Es ist nicht zu erkennen, ob Masyos in die Geschicke des ihm benachbarten Cheruskerkönigs Chariomer verflochten war oder in die gleichzeitigen Bewegungen der Donausueben.

Derweil könnte der silberne Denar des Augustus, der vor Jahrzehnten in Rathenow gefunden wurde, auf vielfältige Weise dorthin gelangt sein. Die Münze mit dem Konterfei des Kaisers ist das älteste Geldstück, das auf brandenburgischem Boden gefunden wurde. Es wird im Archäologischen Landesmuseum in Brandenburg an der Havel gezeigt. Zu sehen sind dort auch römische Münzen des 1. bis 4. Jahrhunderts, die unter anderem in Groß Behnitz (3 Münzen), Paaren (2), Wustermark (2), Buschow, Vieritz, Dallgow, und Pausin gefunden wurden. Laut der Germanien-Landkarte des Petrus Kaerius also mitten im Wald.

Ob die Münzen als Beute oder Handelsware in die Gegend östlich des Suebus fluvius bzw. der Unteren Havel gelangten, ist ebenso unklar wie die Lage des Heiligen Hains der Semnonen. In der Museumsvitrine sind 19 römische Münzen zu sehen, davon waren zwölf auf dem Gebiet des Landkreises Havelland gefunden worden, zwei in Dahme-Spreewald, zwei in Oder-Spree, zwei in Elbe-Elster und eine in Teltow-Fläming. Es hat den Anschein, als wäre im Havelland mehr los gewesen.

Wie überall ist auch die hiesige germanische Bevölkerung in Bewegung geraten, sie wanderte wohl im Laufe des vierten Jahrhunderts ab. Die ab dem 6. Jahrhundert in die Region eingewanderten ostgermanischen (slawischen) Stämme könnten Reste germanischer Siedlungen oder Kultstätten vorgefunden haben. Die im Havelland einzig bekannte ostgermanische Orakel- bzw. Kultstätte befand sich auf dem Harlungerberg in Brandenburg an der Havel, dessen Name sich merkwürdiger Weise durch die ostgermanische Ära hindurch aus der ursprünglichen Germanenzeit erhalten hatte. Heute heißt der städtische Hügel Marienberg.

Nichtsdestotrotz vermutete beispielsweise Rathenows Stadtarchivar Rudolf Gutjahr (1904-1988) den Heiligen Hain der Semnonen im Krämer Forst zwischen Nauen und Velten. Ein anderer Geschichtsfreund, Johannes Schultze (1881-1976), ging von Zootzen (Friesack) aus. Wohl nur archäologische Grabungen, die Reste etlicher Gebeine zu Tage fördern würden, könnten Belege für jene germanische Opferstätte liefern, von der der Römer Tacitus berichtet hatte.

   
Die gesamte Karte des Petrus Kaerius
Entweder man findet einen Weg oder man schafft einen Weg!
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Es bedanken sich: Violetta , Saxorior , Erato , Inara , Ela


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RE: Heidnische Überbleibsel im Berliner Umland - von Coco die Eule - 27.10.12016, 16:24
RE: Heidnische Überbleibsel im Berliner Umland - von Paganlord - 02.05.12019, 09:38
Der Feuerberg von Schönfließ - von Paganlord - 08.03.12021, 20:39

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