Ja du nun wieder, verehrter Dancred - aber ich hatte es ernst gemeint. Ich glaube er hatte einen Sinneswandel. Denn auf der Bühne hatte er sich in den letzten Jahren von der Rolle des Provokateurs verabschiedet. Schon seine „Parsifal“-Inszenierung vor sechs Jahren bei den Bayreuther-Festspielen, irritierte seine alten Anhänger sehr.
2004 inszenierte er in Bayreuth den "Parsifal". Das Leiden Amfortas' wurde für Schlingensief zum Leiden der Welt: Seine Gralsburg und die Heimat der Gralsritter erschienen als modifizierte brasilianische Favela mit Guantánamo-Appeal. Daneben ein Friedhof der Künste mit der Mona Lisa als Grabstein, Warhols Suppendose, Hermann Nitschs Blutsudeltüchern, überblendet von einer wahren Videoprojektionsorgie verfremdeter Schwarz-Weiß-Bilder eines Voodoo-Rituals. Assoziatives Übergesamtkunstwerk.
Dann inszenierte Schlingensief 2007 in Manaos den "Fliegenden Holländer" aus dem Geist brasilianischer Sagen. Schlingensief erzählte von den rosaroten Delfinen im Amazonas und davon, dass die Indios daran glauben, dass sich die Tiere nachts einen Anzug anziehen, auf Landgang ausschwärmen und junge Frauen schwängern. Verfaulten in seinem Bayreuther "Parsifal" auf der Leinwand Kaninchen im Zeitraffer, konnte man in Manaos während der Ouvertüre Larven in monströser Großaufnahme dabei zusehen, wie sie langsam schlüpfen. Eher nebenbei wurden junge Mädchen geköpft, am Ende musste sogar Senta, die vergeblich Liebende, daran glauben. Nichts für zimperliche Wagnerianer.
2008 inszenierte Schlingensief an der Deutschen Oper in Berlin die erste szenische Aufführung der Braunfels-Oper "Jeanne d'Arc" beziehungsweise er ließ sie inszenieren, da seine schwere Erkrankung ihn ans Krankenbett fesselte. Anna-Sophie Mahler, Søren Schuhmacher und Carl Hegemann realisierten seine Konzeption. Afrikanische Schamanen, Nikolaus samt Rentierschlitten, ein buntes Kostüm-Tohuwabohu. Und wiederum Videos über Videos. Von Gewürm, Bakterien, Zersetzungsprozessen und von nepalesischen Leichenverbrennungen. Nicht jeder hat das verstanden.
Jedenfalls hatte er es als bekennender Katholik (!) ganz schön mit Schamanismus, Voodoo usw. Aber das ist ja nicht Neues, daß Katholiken sich in schwarzmagischen Praktiken üben. Ist ja im Grunde auch dasselbe.
Was man will – nicht was man wünscht – empfängt man.
Zitat:Ja du nun wieder, verehrter Dancred - aber ich hatte es ernst gemeint.
Na was meinst denn du, verehrte Aglaia? Ich hatte es ebenso ernst gemeint! Ich gebe dir mal ein paar Zitate, weshalb ich über den Weggang Schlingensiefs überhaupt nicht traurig bin. Daß er bekennender Katholik war, hast du ja bereits selbst geschrieben. Aber es gibt noch mehr über diese Unperson:
Vor einem auf dem Opernplatz aufgebauten Militärzelt und begleitet von Wagner-Musik rief Schlingensief Parolen wie "Deutschland muß im Rhein versenkt werden" ...
„Er habe damals, schreibt Schlingensief, „eine Grenze“ überschritten und sich von dieser Musik „genau auf den Trip schicken lassen, den Wagner haben will“. Das sei „Todesmusik“, eine „gefährliche Musik, die nicht das Leben, sondern das Sterben feiert“, das sei „Giftzeugs, was der Wagner da verspritzt hat.“
„Mir kommt es so vor, als würde ganz Deutschland auf dem Klo sitzen und stöhnen. Man weiß genau, was passieren muß, damit es endlich mal weitergehen kann, aber der Deutsche sitzt da und schimpft, daß kein Klopapier da ist und er deshalb nicht kann. So ist Deutschland.“
"Merkel hat definitiv kein Kulturverständnis und auch von Wagner keine Ahnung, auch wenn sie ständig in Bayreuth herumlatscht." (Auf der Pressekonferenz eines Theatertreffens in Berlin, April 2009)
„Politik ist nicht wirklich real an Lösungen interessiert. Genauso wenig wie die Medien. Politik ist eine Simulation, die Lösungen vorgaukelt, die Medien simulieren die Aufdeckung dieser Simulation und manipulieren dadurch auf ihre Art.“
"Kunst kennt keine Sieger, also breche ich die Veranstaltung ergebnislos ab." (Im Hamburger Bahnhof in Berlin, als er den Publikumspreis der Nationalgalerie für Junge Kunst verkünden sollte, September 2005)
"Hiermit möchte ich Sie recht herzlich bitten, nicht zu meiner Premiere zu kommen, da wir sonst nicht denken können." (In Berlin in einer "Einladung" an die Medien, Juni 2004)
Und das habe ich auch gefunden, das ist ja ein entsetzliches Zitat: "Bayreuth ist ein Regiment von Leuten, ich bezeichne die mal als eine kleine faschistische Armee, man wird dort überwacht und abgehört und so weiter." (In der ARD-Talkshow "Beckmann" über seine Erfahrungen bei den Bayreuther Festspielen, April 2009)
Nagut; da hast du wohl doch recht, werter Dancred, und mein "Mitleid" hebe ich mir lieber für einen anständigen Bürger auf.
Einfach widerliche Kunstquälerei, was er da betreibt. Ganz wie du schon geschrieben hast Dancred: Kunstquäler bekommt, was er verdient.
Was man will – nicht was man wünscht – empfängt man.
Zitat:Aber jetzt ist er tot, da darf man die Gründe für das Versagen dieses? Flegels namens Schlingensief nicht mehr beim Namen nennen: De mortuis nihil nisi bene - dumm ist nur, dass dazu niemandem etwas Einschlägiges einfällt ...
Passend dazu:
http://www.youtube.com/watch?v=BhZRclRzFVc (Harald Schmidt vs. Schlingensief)
http://www.youtube.com/watch?v=DZ2Ch7mZGCM&feature=related (Prügelei vor laufender Kamera)
http://www.youtube.com/watch?v=w6W3qGGAxz8&feature=related(Fluch gegen Möllemann)
Ein Medienclown ist abgetreten
Was man will – nicht was man wünscht – empfängt man.
Zitat:„Politik ist nicht wirklich real an Lösungen interessiert. Genauso wenig wie die Medien. Politik ist eine Simulation, die Lösungen vorgaukelt, die Medien simulieren die Aufdeckung dieser Simulation und manipulieren dadurch auf ihre Art.“
Wishmaster schrieb:Kulturquäler bekommt was er verdient
Zitat:„Politik ist nicht wirklich real an Lösungen interessiert. Genauso wenig wie die Medien. Politik ist eine Simulation, die Lösungen vorgaukelt, die Medien simulieren die Aufdeckung dieser Simulation und manipulieren dadurch auf ihre Art.“
Damit hatte er auf jeden Fall recht!
Ich glaub das wird meine neue Signatur in privaten Mails und Forenbeiträgen
Die Videos schau ich mir noch an und kommentiere später ...
... hab ich grad durch.
Sind echt amüsant, vor allem der Schlagabtausch wegen Peymann
Zitat:die Medien simulieren die Aufdeckung dieser Simulation und manipulieren dadurch auf ihre Art
Und hier parodiert er sich dann selbst : http://www.youtube.com/watch?v=fANSCb3zJCg&NR=1
Eigentlich habe ich ihn nie ernst genommen, aber vielleicht war es ja tatsächlich Parodie, dann wäre das schon interessant. Aber ich glaub's eher nicht, dazu war es teilweise wohl doch zu geschmacklos (Sein Aufruf hinsichtlich Kohl, die Verfluchung von Möllemann usw.)
P.S. am 30.09.
Vielleicht war Schlingensief aber auch seiner Zeit voraus und ist lediglich hin und wieder über's Ziel etwas hinausgeschossen. Die Absurdität, den Leuten ihr Ausgenutztsein vorzuführen, indem man selbst sie benutzt, ist doch kaum zu überbieten und hat in dieser völligen Absurdität doch etwas sehr Entlarvendes. Ich denke das ist es, was mir wie eine Eigenparodie erschien, und es ist doch vielleicht genau der Sinn des Ganzen gewesen, und ich hatte es nicht verstanden.
Mich würde interessieren, wie er die Wagner Festspiele ausrichtete, dazu ist mir nichts bekannt.
Daß es auch anders geht als Schlingensief, das hat mir mein sonntäglicher Besuch in der Komischen Oper in Berlin bewiesen. Ich bin richtig begeistert, eine vollkommen gelungene Aufführung der Meistersinger von Nürnberg. Nachfolgend ein kleiner Bericht:
Grau in grau kommt alles daher, Häuser ohne Fenster, ohne Farbe. Die Menschen gefangen in Konventionen, Traditionen unterworfen. Normen engen das Leben ein. So begann am Sonntagabend die Premiere von Richard Wagners „Meistersinger“ in der Komischen Oper Berlin.
Die handelnden Personen dieses genialen Werkes Richard Wagners, um das in sich erstarrte Bürgertum (dem es heiliger Ernst ist, Eva, das einzige Kind des Goldschmiedemeisters Veit Pogner, dem Sieger eines Meistersinger-Wettbewerbes anzutrauen) stellt Regisseur Andreas Homoki liebevoll in ihr kleines Glück oder Ungeschick. Läßt sie nicht in einer Farce untergehen, karikiert sie nicht. Vielmehr nimmt er diese Figuren dieser einzigen komischen Oper des großen Komponisten Richard Wagner ernst, entwickelt die Heiterkeit aus Text und Handlung, führt die Personen brillant, wobei Eva zuweilen (für meinen Geschmack) ein wenig zu kindisch agiert.
Hans Sachs, diese hochverehrte Nürnberger Institution aber zeigt, für alle Handwerkermeister und für alle Individuen stellvertretend, wie schwer die Großmut fällt, das eigene Alter zu akzeptieren, sich zurückzunehmen, der Jugend, hier dem stürmischen Junker Stolzing, den Vortritt, das Feld im Werben um das holde Geschlecht zu überlassen. Am Schluß brechen die Verkrustungen auf, winkt neben der Altersweisheit eine farbige Zukunft, die unkonventionell neues, anderes, zuläßt. Heutiger kann man kaum inszenieren.
Das bewegliche Bühnenbild aus trostlosen Häusern samt Kirche dreht sich in alle Richtungen. Fassaden dienen als Kirchenschiff, Schusterstube, Gasse, Festwiese. Alles bricht in der Prügelszene des zweiten Finales in sich zusammen und richtet sich im dritten Aufzug neu, im bonbon-farbigen Anstrich auf, ganz wie die Menschen. Die ansprechenden Kostüme inklusive Evas attraktivem Brautkleid sind hübsch anzusehen.
Gänzlich leergeräumt ist die Bühne im „Schusterstuben-Quintett“ des dritten Aufzugs. Eva, Magdalene, Sachs, David und Stolzing berühren sich, heben an, „Selig, wie die Sonne“ zu singen und es herrscht im Nu eine Gänsehaut-Atmosphäre. Diese Gänsehaut vermittelt auch Patrick Lange als neuer Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlins. Man glaubt ja seinen Ohren kaum, was dieser Mann da mit seinen Musikern aus dem Orchestergraben heraus an wagnerianischer Verführung zaubert! Das gibt zu schönsten Hoffnungen Anlaß. Bereits vor dem dritten Aufzug schlagen ihm die Bravo-Salven des gesamten Hauses entgegen.
Das Publikum (einschließlich meiner eigenen Person) ist begeistert, daß der isländische Bariton Tomas Tomasson die Partie des Hans Sachs sowohl stimmlich als auch darstellerisch in all ihren Facetten ausfüllt und mit wahrem wagnerianischen Geist erfüllt. Das gilt auch für den stürmisch agierenden Marco Jentzsch in der Rolle des Walther von Stolzing, der für seine Mühe mit der Hand der zauberhaften Eva (Ina Kringelborn) belohnt wird.
Zusammengefaßt kann man sagen: Die Komische Oper startete mit einem Paukenschlag in die neue Spielzeit, und das Publikum dankte es mit üppigen Beifall und vielen Bravorufen!
Was man will – nicht was man wünscht – empfängt man.
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