25.07.12007, 20:01
Verrat und Aberglauben im Krisenkiez
Zehn Stunden vergehen wie im Fluge: Peter Stein inszeniert Schillers "Wallenstein" in Berlin
Ihr kennt ihn - den Schöpfer kühner Heere, des Lagers AbG*tt und der Länder Geißel, die Stütze und den Schrecken seines Kaisers, des Glückes abenteuerlichen Sohn, der von der Zeiten Gunst emporgetragen, der Ehre höchste Staffeln rasch erstieg, und ungesättigt immer weiter strebend, der unbezähmten Ehrsucht Opfer fiel", so umreißt der Dichter selbst seinen Helden vorab im Prolog. Und derart vom Theater-Urgestein Walter Schmidinger nasal und unheilvoll auf dunkler Bühne eingestimmt, erwartet das Publikum das nachfolgende Schauspiel.
Ein Mammutwerk: zehn Stunden "Wallenstein", aufgeführt in einer ehemaligen Brauerei, in der Kindl-Halle im Berliner Problembezirk Neukölln. Kunstsinniges Publikum findet hier nur selten her. Schillers Meisterwerk aber, von Peter Stein in allen drei Teilen grandios inszeniert, hat bereits Tausende in den Krisenkiez gelockt.
Stein hat mit seiner Wallenstein-Produktion vielleicht eine Wende in der Aufführungspraxis der deutschen Theater eingeleitet. Er rechnet schonungslos ab mit dem Regietheater der vergangenen Jahrzehnte.
Und es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese Inszenierung Maßstäbe für Kommendes setzt: klassisch, aber ohne Staubschicht, eindringlich, aber ohne künstliche Effekthascherei, tragisch, aber ohne schmalziges Pathos, und immer in enger Anlehnung an die Textvorlage treten die Figuren auf und führen die Geschichte unbeirrt voran. In der Hauptrolle ein überwältigender Klaus Maria Brandauer als kaiserlicher Heerführer Wallenstein.
Das erste Bild: Wallensteins Lager. In der Mitte der tiefen Bühne steht ein hohes weißes Zelt, links ein zweites, rechts eine Feuerstelle. Kunstschnee bedeckt den Boden, es ist Winter des Jahres 1634. Der Dreißigjährige Krieg dauert schon 16 Jahre.
Die Bühne füllt sich mit Landsknechten, auch Weiber und Kinder sind dabei. Aus den Zelten hört man laute Stimmen und Musik. Draußen wird gewürfelt und gekocht. Es herrscht geselliges Treiben. Eine junge Magd schenkt Wein aus und tändelt mit den Soldaten, die die Uniformen mannigfacher Waffengattungen und Regimenter tragen. Ihre Mundarten verraten, daß sie sich aus vielen deutschen Landen um den Feldherrn geschart haben. Über ihn, den Friedländer, sind sie des Lobes voll. Sein Gefolge verehrt ihn, denn er macht keine leeren Worte, hat ein offenes Ohr für seine Männer, läßt ihnen durch große Siege Ruhm angedeihen und bleibt den Sold nicht schuldig. Die Landsknechte schwören, zu Wallenstein zu halten, was immer kommen mag - und sei es auch gegen kaiserlichen Befehl.
Schillers Sprache reißt das Publikum mit
Pause nach fast zwei Stunden. Danach Szenenwechsel: Für den Rest des Abends genügt ein spärliches Bühnenbild. Schwarze, weiße und mit farbigem Licht durchleuchtete Wände verschieben sich zu Nischen, Winkeln und weiten Räumen. Der Umbau wird jeweils begleitet von ergreifendem Gesang über die Zerstörung Magdeburgs, von Schiller ursprünglich als Eingangslied vorgesehen.
Nun steht der Feldherr selbst, Wallenstein, im Mittelpunkt. Klaus Maria Brandauer spielt ihn mit Hingabe. Von der eigenen Persönlichkeit vollkommen frei, gibt er den Großen, den Machtbewußten, den Zögernden, den Tragischen mit enormer Überzeugungskraft. Schillers Sprache, die sich scheinbar leicht und wie selbstverständlich aus der Situation heraus entwickelt, reißt das Publikum mit sich. Die Stunden vergehen im Fluge.
In "Die Piccolomini" erleben die Zuschauer Wallenstein, wie er sich in unangreifbarer Machtfülle und frei von äußeren Zwängen dem Kaiser und dem schwedischen König ebenbürtig wähnt. Die Generäle des Heeres meint er geschlossen auf seiner Seite. Er führt sie wie Marionetten an der Hand. Die Tochter sieht er schon als Königin auf einem europäischen Thron, und die Sterne versprechen eine glorreiche Zukunft. Ehrgeizige Gedankenspiele treiben ihn um. Alle Wege des Ruhmes scheinen vor ihm ausgebreitet, er muß sich nur für einen entscheiden.
In Octavio Piccolomini sieht der abergläubische Wallenstein seinen engsten Vertrauten. Arglos weiht er den Grafen in alle Pläne ein, nicht ahnend, daß dieser sein ärgster Gegenspieler ist und auf Geheiß des Kaisers bereits den Sturz des Feldherrn plant.
Peter Fitz spielt den verräterischen Freund mit zurückhaltender Brillanz. Ruhig, gefaßt und mit viel diplomatischem Geschick treibt er den aufbrausenden Wallenstein ohne dessen Wissen Zug um Zug immer weiter in die Enge. Im edlen Antlitz des Piccolomini ist nicht zu ergründen, was ihn zum Verrat am Friedländer treibt. Ist es die Treue gegenüber dem Kaiser? Ist es eigennütziges Streben nach der kaiserlichen Gunst und der Befehlsgewalt über das Heer? Nur einmal bemerkt man bei Octavio eine tiefe, unterdrückte Gefühlsregung, als sein Sohn Max sich - angewidert von des Vaters Ränken - abwendet und in die Schlacht hinauszieht.
Max und Wallensteins Tochter Thekla, die einander lieben, sind die einzig reinen Helden des Dramas. Ihre innige Begegnung, die in anderen Aufführungen oft nur kurz umrissen wird, nimmt in Steins Inszenierung viel Raum in Anspruch. Ihre Wahrhaftigkeit und ihr tiefes Verstehen füreinander setzen einen anrührenden Gegenpol zum ansonsten so intriganten Umfeld. Alexander Fehling spielt den jungen Grafen Piccolomini in blütenweißem Wams, idealistisch, großmütig und ohne peinliches Pathos. In Thekla, unprätentiös und überzeugend gespielt von Friederike Becht, hat er sein weibliches Gegenstück gefunden. Beide werden zwischen den Fronten zerrieben.
Auch Wallenstein erliegt letztlich dem kühl ersonnenen Mordplan seiner Gegner, bis zum Schluß auf die eigene Stärke vertrauend und auf eine glückliche Wendung seines Schicksals hoffend.
Peter Stein ist eine durchweg grandiose Inszenierung gelungen. Das Schauspiel ist ein Lehrstück über politische Macht und Bestechlichkeit, berechnende Parteilichkeit, persönliche Vorteilssuche und engherzige Kleinmütigkeit im Angesicht großer historischer Chancen.
Die Kostüme und die Szenerie des Dreißigjährigen Krieges rauben dem Drama keinen Deut seiner Aktualität. Sie führen im Gegenteil das offenbar ewiggültige Elend vor Augen, vor dem letztlich "alles Schöne auf der Erde" zugrunde gehen muß.
Die nächsten Vorstellungen in der Kindl-Halle, Werbellinstr. 50, finden statt am 1., 7. und 8. Juli, 25./26. August. Im September und Oktober gibt es weitere elf Termine. Beginn ist jeweils um 14 Uhr, Ende gegen 23.45 Uhr. Die Karten kosten zwischen 30 (ermäßigt 20) und 70 Euro. Kartenreservierung beim Berliner Ensemble unter Tel. 030 / 2 84 08-155
Zehn Stunden vergehen wie im Fluge: Peter Stein inszeniert Schillers "Wallenstein" in Berlin
Ihr kennt ihn - den Schöpfer kühner Heere, des Lagers AbG*tt und der Länder Geißel, die Stütze und den Schrecken seines Kaisers, des Glückes abenteuerlichen Sohn, der von der Zeiten Gunst emporgetragen, der Ehre höchste Staffeln rasch erstieg, und ungesättigt immer weiter strebend, der unbezähmten Ehrsucht Opfer fiel", so umreißt der Dichter selbst seinen Helden vorab im Prolog. Und derart vom Theater-Urgestein Walter Schmidinger nasal und unheilvoll auf dunkler Bühne eingestimmt, erwartet das Publikum das nachfolgende Schauspiel.
Ein Mammutwerk: zehn Stunden "Wallenstein", aufgeführt in einer ehemaligen Brauerei, in der Kindl-Halle im Berliner Problembezirk Neukölln. Kunstsinniges Publikum findet hier nur selten her. Schillers Meisterwerk aber, von Peter Stein in allen drei Teilen grandios inszeniert, hat bereits Tausende in den Krisenkiez gelockt.
Stein hat mit seiner Wallenstein-Produktion vielleicht eine Wende in der Aufführungspraxis der deutschen Theater eingeleitet. Er rechnet schonungslos ab mit dem Regietheater der vergangenen Jahrzehnte.
Und es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese Inszenierung Maßstäbe für Kommendes setzt: klassisch, aber ohne Staubschicht, eindringlich, aber ohne künstliche Effekthascherei, tragisch, aber ohne schmalziges Pathos, und immer in enger Anlehnung an die Textvorlage treten die Figuren auf und führen die Geschichte unbeirrt voran. In der Hauptrolle ein überwältigender Klaus Maria Brandauer als kaiserlicher Heerführer Wallenstein.
Das erste Bild: Wallensteins Lager. In der Mitte der tiefen Bühne steht ein hohes weißes Zelt, links ein zweites, rechts eine Feuerstelle. Kunstschnee bedeckt den Boden, es ist Winter des Jahres 1634. Der Dreißigjährige Krieg dauert schon 16 Jahre.
Die Bühne füllt sich mit Landsknechten, auch Weiber und Kinder sind dabei. Aus den Zelten hört man laute Stimmen und Musik. Draußen wird gewürfelt und gekocht. Es herrscht geselliges Treiben. Eine junge Magd schenkt Wein aus und tändelt mit den Soldaten, die die Uniformen mannigfacher Waffengattungen und Regimenter tragen. Ihre Mundarten verraten, daß sie sich aus vielen deutschen Landen um den Feldherrn geschart haben. Über ihn, den Friedländer, sind sie des Lobes voll. Sein Gefolge verehrt ihn, denn er macht keine leeren Worte, hat ein offenes Ohr für seine Männer, läßt ihnen durch große Siege Ruhm angedeihen und bleibt den Sold nicht schuldig. Die Landsknechte schwören, zu Wallenstein zu halten, was immer kommen mag - und sei es auch gegen kaiserlichen Befehl.
Schillers Sprache reißt das Publikum mit
Pause nach fast zwei Stunden. Danach Szenenwechsel: Für den Rest des Abends genügt ein spärliches Bühnenbild. Schwarze, weiße und mit farbigem Licht durchleuchtete Wände verschieben sich zu Nischen, Winkeln und weiten Räumen. Der Umbau wird jeweils begleitet von ergreifendem Gesang über die Zerstörung Magdeburgs, von Schiller ursprünglich als Eingangslied vorgesehen.
Nun steht der Feldherr selbst, Wallenstein, im Mittelpunkt. Klaus Maria Brandauer spielt ihn mit Hingabe. Von der eigenen Persönlichkeit vollkommen frei, gibt er den Großen, den Machtbewußten, den Zögernden, den Tragischen mit enormer Überzeugungskraft. Schillers Sprache, die sich scheinbar leicht und wie selbstverständlich aus der Situation heraus entwickelt, reißt das Publikum mit sich. Die Stunden vergehen im Fluge.
In "Die Piccolomini" erleben die Zuschauer Wallenstein, wie er sich in unangreifbarer Machtfülle und frei von äußeren Zwängen dem Kaiser und dem schwedischen König ebenbürtig wähnt. Die Generäle des Heeres meint er geschlossen auf seiner Seite. Er führt sie wie Marionetten an der Hand. Die Tochter sieht er schon als Königin auf einem europäischen Thron, und die Sterne versprechen eine glorreiche Zukunft. Ehrgeizige Gedankenspiele treiben ihn um. Alle Wege des Ruhmes scheinen vor ihm ausgebreitet, er muß sich nur für einen entscheiden.
In Octavio Piccolomini sieht der abergläubische Wallenstein seinen engsten Vertrauten. Arglos weiht er den Grafen in alle Pläne ein, nicht ahnend, daß dieser sein ärgster Gegenspieler ist und auf Geheiß des Kaisers bereits den Sturz des Feldherrn plant.
Peter Fitz spielt den verräterischen Freund mit zurückhaltender Brillanz. Ruhig, gefaßt und mit viel diplomatischem Geschick treibt er den aufbrausenden Wallenstein ohne dessen Wissen Zug um Zug immer weiter in die Enge. Im edlen Antlitz des Piccolomini ist nicht zu ergründen, was ihn zum Verrat am Friedländer treibt. Ist es die Treue gegenüber dem Kaiser? Ist es eigennütziges Streben nach der kaiserlichen Gunst und der Befehlsgewalt über das Heer? Nur einmal bemerkt man bei Octavio eine tiefe, unterdrückte Gefühlsregung, als sein Sohn Max sich - angewidert von des Vaters Ränken - abwendet und in die Schlacht hinauszieht.
Max und Wallensteins Tochter Thekla, die einander lieben, sind die einzig reinen Helden des Dramas. Ihre innige Begegnung, die in anderen Aufführungen oft nur kurz umrissen wird, nimmt in Steins Inszenierung viel Raum in Anspruch. Ihre Wahrhaftigkeit und ihr tiefes Verstehen füreinander setzen einen anrührenden Gegenpol zum ansonsten so intriganten Umfeld. Alexander Fehling spielt den jungen Grafen Piccolomini in blütenweißem Wams, idealistisch, großmütig und ohne peinliches Pathos. In Thekla, unprätentiös und überzeugend gespielt von Friederike Becht, hat er sein weibliches Gegenstück gefunden. Beide werden zwischen den Fronten zerrieben.
Auch Wallenstein erliegt letztlich dem kühl ersonnenen Mordplan seiner Gegner, bis zum Schluß auf die eigene Stärke vertrauend und auf eine glückliche Wendung seines Schicksals hoffend.
Peter Stein ist eine durchweg grandiose Inszenierung gelungen. Das Schauspiel ist ein Lehrstück über politische Macht und Bestechlichkeit, berechnende Parteilichkeit, persönliche Vorteilssuche und engherzige Kleinmütigkeit im Angesicht großer historischer Chancen.
Die Kostüme und die Szenerie des Dreißigjährigen Krieges rauben dem Drama keinen Deut seiner Aktualität. Sie führen im Gegenteil das offenbar ewiggültige Elend vor Augen, vor dem letztlich "alles Schöne auf der Erde" zugrunde gehen muß.
Die nächsten Vorstellungen in der Kindl-Halle, Werbellinstr. 50, finden statt am 1., 7. und 8. Juli, 25./26. August. Im September und Oktober gibt es weitere elf Termine. Beginn ist jeweils um 14 Uhr, Ende gegen 23.45 Uhr. Die Karten kosten zwischen 30 (ermäßigt 20) und 70 Euro. Kartenreservierung beim Berliner Ensemble unter Tel. 030 / 2 84 08-155