Schäferka*elle
#2
Hier ist noch ein ausführlicher Text dazu, wie man heidnische Tempel, Riten und Brauchtümer einfach umgemünzt hat. Ganz offensichtlich, wie eine "neue" Religion Stück für Stück eingesetzt worden ist. Hier ein paar Auszüge davon:

Den ganzen Text findet ihr hier: https://www.oding.org/poesie-2/artglaube/ein-heiligtum-des-wotan



Zitat:Zum Synkretismus der Missionspraxis

Dieses integrative Vorgehen hatte zur Folge, dass sich aus erhaltenen Festbräuchen, Kultorten und aus der Wahl der Ki*chenpatrone oft gute Rückschlüsse auf den vorchri*tlichen Kult und auf die verehrten Gottheiten und Rituale ziehen lassen. Dabei verbanden und vermischten sich religiöse Vorstellungen und Bräuche vielfach. Dieser „Synkretismus“ bedeutet keineswegs nur die Vermischung zweier Religionen zu einer neuen, sondern bezeichnet auch die Übernahme von Elementen einer Religion in eine andere. Ganz eindeutig!

So erklärt der Bayreuther Religionswissenschaftler Ulrich Berner: „Aus zwei Systemen kann eines entstehen, indem die Grenze zwischen den Systemen aufgehoben wird und die heterogenen Elemente zu Elementen eines neuen umfassenden Systems erklärt werden. Diesen Prozess könnte man „Synkretismus aus System-Ebene“ nennen. ... Die Begegnung verschiedener Systeme kann aber auch dazu führen, dass neue Elemente entstehen und sich das betreffende System damit so wandelt ... Dieser Prozess könnte „Synthese“ genannt werden.“ Eigenschaften, Funktionen und Kultbräuche germanischer heidnischer Götter wurden auf chri*tliche Heilige übertragen (die es vorher gar nicht gab!), die gleichsam einen Teil des Wesens und der Aufgaben ihrer „Vorgänger“ erbten. Dabei mündete der synkretistische Prozess in eine Synthese. Wir können also annehmen, dass dieser Prozess nicht nur einseitig erfolgte, sondern beidseitig. D. h., dass sowohl auf ritueller Ebene wie im Hinblick auf die Heiligen und Kultorten zugeschriebenen Eigenschaften eine gute Portion Heidentum in das mittelalterliche kath*lische Chri*tentum aufgenommen wurde und zuweilen bis in die Gegenwart lebendig ist. Ein genauer Blick auf kath*lisches Volksbrauchtum dürfte in vielen Fällen einen Schlüssel zur Rekonstruktion heidnischer Bräuche und Riten liefern. Im Hinblick auf einen Berg im Allgäu, den „Säuling“, hat dies beispielsweise Elisabeth Wintergerst durchgeführt; ebenso ist Sybil Gräfin Schönfeldt in ihren Büchern zu Bräuchen und Festen des Jahreskreises vielfach deren heidnischen Wurzeln nachgegangen. Es ist ein breites Feld, mit vielen örtlichen oder religionssystematischen Zugängen. In diesem Zusammenhang kann an die Arbeiten Jacob Grimms erinnert werden. Spätestens seit der Romantik ist ein Bewusstsein von kulturell verankerten religiösen Besonderheiten in den Ländern des germanischen Sprachraums verbreitet, die diesen Wurzeln zugeschrieben werden. Der von U. Berner beschriebene Prozess der Synthese als einer möglichen Ausformung solcher Durchdringung kann durchaus systematisch aufgenommen werden.

Unabhängig von der Intention einer solchen Ersetzung wird dabei ein Prozess des Synkretismus in Gang gesetzt: die implizite Identifikation der alten und neuen numinosen Entität ermöglicht Kultkontinuität und die Übertragung von Eigenschaften und Ritus, sowie religiösen Anliegen und Verehrung auf die neue Entität. Die hierdurch in die neue religiöse Sphäre übertragenen religiösen Vorstellungen und Praktiken erweisen sich oft als ausgesprochen langlebig. Daneben bestehen zuweilen Elemente des alten Kults fragmentarisch oder in einer religiösen Subkultur fort, wenn sie im Zusammenhang mit einem weiterhin geübten Ritus stehen. So überdauerten Formen des in den altsächsischen Siedlungsgebieten besonders verbreiteten Wodanskultes in Niedersachsen, Westfalen und England bis in die Gegenwart, hier verbunden mit Spuren des Wissens um ihre ursprüngliche Bestimmung. Über Jahrhunderte blieb nach der Chri*tianisierung in ländlichen Gemeinschaften ein Wissen um die ursprüngliche Bestimmung eines Kultortes lebendig - vielfach in Sagenform, bezogen auf einen „niederen“, als „Aberglauben“ bezeichneten, numinosen Bereich - ein Wissen um die spezifischen „Kräfte“ und „Zuständigkeiten“ des Heiligtums, die sowohl der alten wie der neuen dort anwesenden transzendenten Wesenheit zugeschrieben wurden, wobei die neue Eigenschaften der älteren aufnehmen konnte, und drittens, Formen der Verehrung und des Kultes, zuweilen in oberflächlicher Adaption an die Kultgebräuche der neuen Religion - so dass etwa aus Opfergaben Votivgaben des Volkskatholi*ismus wurden. Dieser Synkretismus kann als Synthese vollzogen werden. Daneben gibt es auch das von der neuen Religion geduldete Fortbestehen älterer Praktiken. So beobachtete Jacob Grimm, dass bis in die Neuzeit hinein, besonders in Niedersachsen und Westfalen, Pfa**er zur Erntezeit an bäuerlichen Opferriten für Wodan teilnahmen und dafür honoriert wurden. Wenn diese Notiz zutrifft, verweist sie darauf, dass heidnische Praktiken nicht nur außerhalb der Ki*che, sondern zumindest in ländlichen Gemeinden bis in die Neuzeit hinein im Raum der Ki*che stattfanden und geduldet wurden. Der Hinweis auf teilnehmende Pfa**er, die selbst dem ländlichen Milieu entstammt sein dürften, könnte darauf hindeuten, dass diese Riten als Teil des allgemeinen Volksbrauchtums empfunden und akzeptiert wurden, vergleichbar den Perchten-Läufen im altbayrisch-österreichischen Raum oder der alemannischen Fassnacht.
Achte auf deine Gedanken - sie sind der Anfang deiner Taten
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Schäferka*elle - von Munin - 15.07.12025, 22:10
RE: Schäferka*elle - von Munin - 16.07.12025, 11:08
Schäferka*elle - von Paganlord - 16.07.12025, 11:44
RE: Schäferka*elle - von Munin - 16.07.12025, 11:30

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