Hallo Violetta,
Zitat:Vielleicht entsteht der Nutzen nur im Schleifen der eigenen Zunge, vielleicht gibt es aber auch ein paar tatsächliche Denkanstöße.
Ich gehe auch gar nicht mit dem Anspruch hier in die Diskussion, andere von meinen Vorstellungen zu überzeugen. Wenn es mir gelingt, meine Position verständlich zu machen, habe ich erreicht, was ich will.
Zitat:Aber Du irrst Dich, wenn Du glaubst, daß es davor niemanden gab. ... Mir persönlich sind heidnische Gesprächskreise seit 1976 bekannt und auch entsprechende Schriften für den eigenen Gebrauch
Daß es "Heiden" schon damals gab, weiß ich. Z. B. Wiccas, Neuceltengruppen, Armanen usw. Aber ausnahmslos keiner hat damals schon ein Heidentum, das auf den Quellen rekonstruiert wurde, praktiziert. Da war ich der Erste. Die Leute interessierten sich nicht für solche Quellen und kannten sie zum großen Teil gar nicht.
Zitat:irgendwelche Bücher und Quellen sind nur so genau, wie derjenige der sie niederschrieb oder die Informationen, die er diesbezüglich erhielt.
Und mit diesem Satz sagst Du indirekt, daß Du ein Heidentum auf den Quellen nicht willst (weil Du die Quellen für ungenau hältst).
Damit ist klar, daß wir verschedene (heidnische) Religionen haben, was ja nichts Schlechtes ist. Nur (und nun sind wir beim Thema "Vertretung") muß dann auch akzeptiert werden, daß meine Religion sich anders etablieren und strukturieren will, als Deine. Wir meinen, daß wir eine Vertretung brauchen und wir wollen auch Priestertum.Probleme hatten Einzelne damit, weil sie sich eben nicht klarmachten, daß es verschiedene heidnische Religionen gibt. Auch Du gehst ein wenig in diese Richtung, wenn Du die schon 1976 vorhandenen Neuheiden mit dem Heidentum, das ich vertete, verbindest. Aber genauso, wie es im Ch**stentum verschiedene Richtungen, ja Religionen gibt (Katholizismus, Protestanten, Zeugen Je**vas, Mormonen, Alt-Katholiken, Orthodoxe usw.) gibt es das auch bei den Heiden. Der Vorwurf, ich maßte mir an, "alle Heiden" zu vertreten, ist so, als würde man dem Papst unterstellen, für alle Ch**sten zu sprechen.Was die Quellen anbetrifft, so ist jede für mich wie eine Gruppe von zusammengesetzten Mosaiksteinchen. Mittlerweile ist es gelungen, das gesamte Mosaik aus diesen Steinchengruppen zusammenzusetzen, so daß man ein deutliches Bild erkennt. Es gibt zwar noch Flächen auf diesem Bild, die noch nicht ganz gefüllt sind, zuweilen fehlen noch einzelne Steinchen, die Details sind also noch nicht immer völlig deutlich, aber das Gesamtbild ist klar erkennbar, und man kann die fehlenden Stücke ergänzen, weil man schon sieht, was das Gesamtbild darstellt. Bei dieser Sachlage fallen einzelne Quellen, die ein ganz anderes Teilbild beschreiben, automatisch heraus, man erkennt, daß sie nichts mit dem Gesamtbild zu tun haben und also, daß sie als Quellen unglaubwürdig sind.Deswegen würde ich die Quellen nicht als "willkürlich" ansehen, sondern ihre Gesamtheit bestätigt sie.
Zitat:Zudem nimmst Du die Texte wortwörtlich, ... Eine ziemlich simpel konstruierte Lehre, die Mythologie und Überlieferung wie ein juristisches Paragraphenbuch behandelt und diese angeblichen Paragraphen über die Natur stellt.
Nein, es steht alles im Einklang. Eddalieder oder mythische Texte deute ich sehr wohl voll symbolisch, aber Geschichtsquellen (wie etwa die Heimskringla) natürlich nicht.
Zitat:schwöre ich nur auf eine Sache und das ist die Natur.
... Rein logisch müßte auch für Dich (als wahren naturreligiösen Menschen), die Natur selbst die Primärquelle aller Deiner Forschungen sein.
Die Natur ist ja nur ein materielles Gewand für spirituelle Dinge, Kräfte, Gegebenheiten. Es ist so, als würde man von der äußeren Form und dem Aussehen eines Gefäßes über dessen Inhalt spekulieren. Das bedeutet nicht, daß die Natur in unserm Denken und auch in unserer Rekonstruktion des Heidentums keine Rolle spielte. Im Gegentheil, alle Feste sind am Jahreslauf orientiert, das Wirken der Götter und Geister in der Natur ist für uns Realität. Ich hatte mal viel Ärger bekommen, als ich in einem Artikel "Instinkt oder Verstand" für eine stärkere Nutzung unserer Instinkte plädierte. Jedenfalls haben auch wir den Anspruch, daß Verhaltensweisen, die in der Natur vorkommen, auch bei uns Menschen nicht falsch oder böse sein können. Die Ch**sten machen es sich zu einfach, wenn sie die Natur als Reich des Satans ansehen ("Mein Reich ist nicht von dieser Welt" soll ihr Gründer gesagt haben, gleichzeitig sprechen sie vom "irdischen Jammertal").
Nun kommen wir aber zur Frage der Interpretation. Offenbar kann man in der Natur Beispiele für viele Dinge finden. Wenn wir also z. B. noch die heidnische Vielehe zulassen (wonach ein Mann mehrere Frauen heiraten kann), dann können wir das bei vielen Tierarten auch finden (z. B. Rotwild, Rehwild). Aber wir finden auch das Spinnenweibchen, daß sein Männchen auffrißt. Sollten wir diese Verhaltensweise als "natürlich" auch beim Menschen zulassen? Sicher nicht. Es gibt also Interpretationsmöglichkeiten.
Zitat:Mir gruselt es nur davor, wenn Heidentum Toleranz gegenüber ... Tiermord bedeutet und sich das Unwissen dann offiziell breitmachen kann.
... der Heide ist dann auf dem richtigen Weg, wenn er sich als Teil der Tierheit betrachtet und sich nicht davon herausnimmt. Wir haben es ja z. B. im Ernährungsthema gesehen, wo gesagt wurde, daß Raubtiere andere Tiere töten dürften, Menschen aber nicht. Wenn sich der Mensch als Tier begreift (was ich unterstütze), dann darf er auch "Raubtier" sein (hat ja ein "Gemischfresser-Gebiß"). Dabei verstehe ich die Natur so, daß höheres Leben für die Umwandlung des niederen zuständig ist. Gerade die Natur führt uns dieses "Fressen und Gefressenwerden" doch täglich erneut vor Augen. Wäre sie unsere alleinige Quelle, müßten wir das Gutheißen.
Zitat:Und Wissende haben es von jeher verstanden, ihr Wissen entsprechend zu verschlüsseln, so daß es dem einfachen Menschen (und vor allen den Inquisitoren) nicht auffällt
-Als die Eddalieder entstanden, da gab es noch keine Inquisition. Mir wurde ja gerade der Vorwurf gemacht, ich überinterpretierte derartige Texte, indem ich mythisch-esoterische Dinge quasi hineindeuteln würde. Ich bin mir durchaus bewußt, daß man spirituelle Texte auf verschiedenen Ebenen deuten kann, und alle diese Ebenen sind "wahr". Das bedeutet aber nicht, daß ich in jedem Beitrag nun immer sämtliche dieser Deutungen anführe. Ich führe die Deutungen an, die mir besonders zusagen oder die zum Thema entscheidend sind.
Zitat:Schön wäre es, wenn man sich eben auf eine gemeinsame Quelle für alle Heiden einigen könnte.
Das ist doch längst geschehen. Die Eddas gelten den germ. Heiden als gemeinsame Quelle. Die Eddas sind unbesteitbar "heilige Schriften", und wir müssen ihnen den Stellenwert geben, der ihnen gebührt. Kein Inder würde etwa anfangen, die Veden als Quellen abzusetzen um nur und allein der Natur diesen Platz einzuräumen.
Zitat:ich sage "Es ist die Natur selbst, die uns alleinige Quelle sein kann".
Nein, als "alleinige" Quelle geht das nicht. Das sollen Biologen gerne so sehen, nicht Mythologen. Es gibt Offenbarungen über die Götter, es gibt unsere heiligen Überlieferungen, die wir unsern Nachkommen weitergeben müssen. Ohne diese Überlieferungen wüßten wir nichts von den Göttern, kennten nicht Ihre Namen und könnten Sie daher auch damit nicht anrufen. Die Natur wird heute materiell erklärt, das würden einige von uns sicher übernehmen. So kämen sie nie auf die Idee, im Wind oder Gewitter die Kraft eines G?ttes zu sehen. Es wäre ihnen immer nur der Wechsel zwischen Hoch- und Tiefdruckgebieten. Letztendlich würde ein a-religiöses Weltbild herauskommen.Aber wir haben Natur und Kultur, eine sichtbare und eine spirituelle Welt, und wir wollen ein Weltbild haben, daß ganzheitlich ist und keine dieser Welten ausgrenzt.
Zitat:Es gab immer gewisse Gegenkräfte, die zur Verwirrung sogar einen eigenen Odin (eine Fälschung) etabliert haben. ... In den heutigen Mythen sind beide Odine zu einer Person verschmolzen. An manchen Ungereimtheiten kann man es noch herauslesen und unterscheiden - welcher der beiden hier gerade was macht.
Das behaupten die Ariosophen auch. Ich halte von diesen Theorien gar nichts, und wenn Du sie propagierst, mußt Du sie auch beweisen, nicht ich. Unbewiesene Behauptungen aufstellen und jedem, der die nicht sofort und ungeprüft übernimmt mangelndes Wissen vorzuwerfen, geht nicht an.
Was Deine Deutung des Wortes "Aas" betrifft: So sehr ich Grimm schätze, so muß man doch einräumen, daß die Forschungen damals noch in den Kinderschuhen steckten. Längst ist man weiter. Der Herkunftsduden gibt den aktuellen Forschungssand wieder. Aas kommt von ahd. az, dieses von indogerm. *ed (kauen, essen). Verwandt ist lat. edere, gr. edmenai, lit. esti. altengl. aes, altnord. at. Aas bedeutet also eigentlich nur "essen, kauen"; deswegen nennt man ein junges Reh (das nun wirklich nur Pflanzen frißt) "Äser" und das verschwenderische essen "aasen". Der negative Beiklang des Wortes ist also nicht ursprünglich und in "aasen", "Äser", "Essen" und "Fressen" noch gar nicht vorhanden.
Lichtgruß, Geza